Ein melodramatischer Frühlingsschlenker
Mein Reisen: sprechen mit denen vor mir.
Der Bericht darüber: reden an die mit mir hin.
Da ich hier entbehrlich bin,
packe ich meinen transportablen
Elfenbeinturm und brauche einfach
anderwärts niemanden
auf.
Alle waren sie hier.
Die kolonisierenden Griechen, die an deren Erträgen interessierten Römer, die Steuereintreiber aus Byzanz oder den Sarazenenemiraten, und schließlich die adligen Schlägerbanden aus der Normandie und aus Schwaben. Später verwandelten die französischen Anjous und die spanischen Bourbonen unter kundiger Anleitung des Papstes den erreichten Stand der Unterwerfung in die geschichtslose Statik eines Gefängnisses, was man dem Mezzogiorno heute noch ansieht.
Zu den vielen Dingen, die sich bei all dem nicht ändern, gehört nun mal die Gewissheit, dass jegliches Interesse sich von einem höheren Auftrag belehnen lassen wird. Entweder ganz materiell, wie die Korsaren, die im Dienste Venedigs, Genuas, des Papstes oder des Kaisers vom 15. bis zum 18. Jahrhundert plünderten, was des Brandschatzens wert war, oder eben als Freibeuter der Ideologie wie die bezahlten Sinn-Anstifter der Kirchen.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
I)
Im Vorwort zu seinem berühmten Buch über die Falkenjagd schrieb der einzige vernünftige Regent Süditaliens, sofern man in diesen Zusammenhängen von Vernunft überhaupt reden kann, Friedrich II. von Hohenstaufen also schrieb, es sei seine Absicht, „die Dinge, die sind, so darzustellen, wie sie sind“ – ein Satz, der das Weltbild seiner ganzen Epoche mit lakonischer, ruchloser, hochmütiger Modernität in Frage stellte, und sich bis auf den heutigen Tag noch nicht unangefochten durchgesetzt hat.
Des Bemerkens wert in kulturkämpferischen Zeiten, und schon von den Zeitgenossen als Sensation und mit Abscheu betrachtet ist ferner die Tatsache, dass Friedrich II. sich mit muslimischen Gelehrten und Schöngeistern umgab, sich eine Leibwache aus Sarazenen (muslimischen Piraten) hielt und die apulische Stadt Lucera mit unterworfenen Sarazenen besiedelte, in denen er seine treuesten Untertanen und Anhänger fand.
Den Todfeind durch Einweisung in eine Lebensmöglichkeit zu integrieren?
Da sei der Papst davor!
Und richtig. Seine papale Verfügungsgewalt über die europäischen Hirne und Herzen steckt sich hinter die französischen Anjous, damit endlich der ewig nur Unkosten bereitende Sklavenhandel mit christlichen Untertanen aufhört, und vor allem das unerträgliche Prosperieren von 20 - 60 000 Moscheegängern.
1300 war es dann so weit: die florierenden sarazenischen Koloniebewohner werden in einer Art von kleinem Völkermord allesamt massakriert, und ab sofort werden es gekaperte Sarazenen sein, die auf dem christlichen Sklavenmarkt von Lucera zum Verscherbeln anstehen.
Im Fußboden der Kathedrale von Trani ist seit neuestem eine Platte eingelassen, die dieses Gebäude als „Monumento messagero di una cultura di pace“ ausweisen soll.
Mit Schaudern verlasse ich diesen von mir seit fast dreißig Jahren geliebten, wunderschönen Dom. Dazu muss man wissen: von hier aus schifften sich die christlichen Schlägerbanden nach Ablegung ihres Kreuzzug-Eids ein, um ihrer heimischen Chancenlosigkeit in die zu gründenden Kreuzfahrerstaaten zu entrinnen: Militarismus als Problemlösung.
Draußen ist der mich, und die auf dem Meer schaukelnden Möwen beutelnde, scharfe Nordwestwind genau jener nachwinterliche Frühlingswind mit dem der Frieden in den Krieg outre - mer getragen wurde.
Und weil sich das nicht jeder gefallen lässt, braucht es gleich neben der Kathedrale ein Kastell. Eins von den vielen, mit denen die Normannen und die Staufer sich ihren frommen Weg zur Herrschaft pflasterten.
Kastelle sind nicht etwa schön anzusehende, romantische Baulichkeiten, wie das poetische Gemüt sich das so denkt. Das sind Zwingburgen, an denen zunichte wird, was es in Schussferne gerne anders hätte.
Darüber gäbe es viel zu sagen, aber ist Schreiben nicht die Kunst, etwas zu verstecken, von dem der Schreibende hofft, der Leser werde es schon entdecken?
Das normannische Stauferreich endete übrigens nicht in einem Knall, sondern mit einem Wimmern.
Wenn das Castel del Monte, das die majestätische Herrscheridee der Staufer wie kein anderes in ihrer Reinheit symbolisiert, im Tosen des Frühlingswinds aufjault, dann glaubt man in seinem Heulen dies Wimmern aus den Verliesen zu hören.
Da wurden nämlich die letzten Stauferknäblein Friedrich und Enzio von den siegreichen Anjous für ganze dreißig Jahre lebendigen Leibes dem Vergessen im Kerker anheim gegeben. Der eine verkam und verendete erblindet und verblödet und wurde wie ein totes Tier irgendwo namenlos verscharrt.
Dem anderen gelang bei der Verlegung die Flucht in eine demütigende Odyssee durch Europa. Die adelige Verwandtschaft sorgte dafür, dass seines Bleibens nirgends war. All seine Aufbrüche trieben ihn immer nur weiter in die nächste Abfuhr bis sich seine Spuren unter der heißen Sonne Ägyptens im Wüstensand endgültig verlieren...
glanz und ruhm ! so erwacht unsre welt
Heldengleich bannen wir berg und belt
Jung und gross schaut der geist ohne vogt
Auf die flur auf die flut die umwogt.
Da am weg bricht ein schein fliegt ein bild
Und der rauscht mit der qual schüttelt wild.
Der gebot weint und sinnt beugt sich gern
'Du mir heil du mir ruhm du mir stern'
Dann der traum höchster stolz steigt empor
Er bezwingt kühn den Gott der ihn kor...
Bis ein ruf weit hinab uns verstösst
Uns so klein vor dem tod so entblösst !
All dies stürmt reisst und schlägt blitzt und brennt
Eh für uns spät am nacht-firmament
Sich vereint schimmernd still licht-kleinod :
Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.
(Stefan George: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod)
In Barletta gleich daneben steht die spätantike kolossale Statue eines in Byzanz geklauten Kaisers von über 5 Metern Höhe. In seiner Rechten erhebt dieser unidentifizierbare Herrscher das Kreuz wie eine Nahkampfwaffe kurz vor dem Zuschlagen. Nichts von der Serenität selbstbewusster Machtausübung, die an den Pharaonen ihre eigene Notwendigkeit ausstrahlt.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
Ach ja, das Ideologenpack!
Unweit Baris hat das faschistische Italien bestimmt, dass da die dermaßen berühmte Schlacht von Cannae stattgefunden habe (Canne della Battaglia), dass wir noch in den 50er Jahren die Jahreszahl ihres Stattfindens auswendig hersagen können mussten.
Im Verlauf des Gemetzels war es den Truppen Hannibals gelungen ,
70 000 von ihren auf römischer Seite arbeitenden Berufskollegen zu töten. Und nun die Stellungnahme des Geschichtsschreibers Livius, auf einer römischen Granitsäule für die nächsten paar Ewigkeiten eingemeißelt, der zufolge die Niederlage -recht bedacht – eigentlich als Sieg zu betrachten sei: „Kein anderes Volk hätte ein derartiges Unglück überlebt....“
Bari
war mit der Beschaffung einer für Kathedralen unerlässlichen Reliquie relativ spät dran, als es sich 1087 die Reliquien des hl. Nikolaus aus Kleinasien verschaffte.
Dieses „Verschaffen“ ist ein Euphemismus für einen kreuzzüglerischen Raubzug, wie das damals als Gemeinschaftsprojekt von Adel, Kirche und Unternehmergeist die übliche Verkehrsform war.
Man legte sich das Gelingen der impossiblen Mission seinerzeit so zurecht, dass der Heilige selber, um dessen wundertätige Gebeine es ging, unbedingt nach Bari wollte.
Da er keinerlei Anzeichen von Protest an den Tag legte, billigte er offenbar den frommen Zweck, ihn dem räuberischen Zugriff heidnischer Sarazenen und Türken zu entziehen.
Angeblich hat dann der Sarg des heiligen Nikolaus jahrhundertelang ein „Manna“ ausgeschwitzt, das morgens mit einem Schwämmchen gesammelt, und zu prohibitiven Preisen an die zahlungskräftige Wundergläubigkeit veräußert wurde.
Böse Zungen behaupten übrigens hartnäckig, dass man seinerzeit den falschen Sarg entführt habe.
Das bedeutendste Kunstwerk im Innern der Kirche ist der Bischofsstuhl des Elias von etwa 1098. Ein Bischofsstuhl hatte meist einen erhöhten Sitz im Vergleich zu anderen Stühlen in der Kirche. Ein solcher Stuhl wird in der Kunstgeschichte mit dem lateinischen Begriff „Kathedra“ benannt.
Den Thron in Baris Kathedrale zeichnet ein interessantes Untergestell aus. Das ganze tragende Gerüst bildet keine bloße physikalische Statik, sondern eine Handlung von Menschlein, denen die Last des geweihten Hinterns, die sie ertragen, deutlich anzusehen ist. Dabei sind die verschiedenen Anteile am jeweiligen Arbeitsaufwand mit katholischem Realismus gut unterschieden. Den beiden Hauptträgern links und rechts krümmt die geweihte Last den Leib, während eine kleinere Figur in der Mitte nur locker eine symbolische Hand mit anlegt.
Vermutlich ein Manna-Käufer.
Im Dom trägt ein kleiner Sarazene das Taufbecken.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin...
Was an den normannischen Kirchen in Süditalien fasziniert, ist ein einzigartiges Raumerlebnis und dessen klare Ansage: im langen Schiff hat man die Illusionslosigkeit der Leidensperspektive bis ans Ende, das mit dem wonnigen Wahn der Erlösung durch einen Gekreuzigten winkt.
Bei längerem Befahren des Meers der Geschichte verliert sich der Glaube an dessen Respekt vor der Anständigkeit ganz von allein.
II
Ewige Dienstbarkeit also scheint dem Menschengeschlecht seit jeher verhängt.
Was trotz allem auf diesem Boden hoffen macht:
- Die Graffiti der lebhaften Anarchistenszene in Lecce, einer nicht sehr berückenden Barockstadt, die abzudienen mir das schlechte Gewissen gebot, das sich bei meinem anerzogenen Kultur-Respekt regelmäßig einzustellen pflegt, sobald der Baedeker punktet.
Diesen Kasperle-Barock, dessen Dekorationslust jede architektonische Aussage überwuchert, kennt man aus Spaniens plataresker Ornamentik zur Genüge. Man muss sich schon arg konzentrieren, wenn man dem Selbstzweck dieses üppigen Zierats die fast zum Verschwinden gebrachte Struktur ablesen will.
Erfreulich hingegen die Graffitiszene in einer Stadt, die von ultra-rechts gebürgermeistert wird, und an deren Polizeipräsidium seit Mussolini prangt: „TUTTO NELLO STATO/ NIENTE AL DI FUORI DELLO STATO/ NULLA CONTRO LO STATO.
Der Hintergrund der Lebhaftigkeit:
Fünf Anarchisten wurden angeklagt und bei fadenscheiniger Beweislage auf der Grundlage eines Terroristengesetzes, das uns so erst noch blüht, zum Einsitzen verknackt, weil sie sich "Farbschmierereien" gegen einen Priester erlaubt hatten, der ein Migranten- Durchgangslager leitet und der, wegen der Misshandlung von 17 marokkanischen MigrantInnen eigentlich Schlimmeres verdient hätte.
Verständlich, dass man dann den berufsmäßigen Enthaltsamkeitspredigern ein bisschen von ihrer eigenen Medizin zu schlucken gibt: ABSTIENITI AL CLERO!( „Beflecke dich nicht mit dem Klerus“!)
Schützenhilfe der Antike
Was auch zum erleichterten Aufschnaufen geeignet ist:
Dem Dichter Horaz wollte man auf seiner Reise nach Brindisi einreden, ohne Feuer und Glut verdampfe der Weihrauch auf heiliger Schwelle.
Seine Reaktion: „Das glaube der Jude Apella,
Nicht ich, welcher gelernt, daß mühelos leben die Götter,
Und nicht, wenn die Natur was Seltsames schaffet, des Himmels Grämliche Mächt' es senden herab aus olympischem Obdach.“
Das ist jetzt über 2000 Jahre her, und siehe da: Frühling und Ausfahrt des Geistes ist also immer möglich.
Zum Pilgerwesen auf dem Gargano
Auf dem Sporn des italienischen Stiefels gibt es einen Monte Sant´ Angelo, ein dem Erzengel Michael gewidmetes, alteuropäisches Pilgerziel. Dort befindet sich eine Tafel, die verkündet: “Haec est domus spezialis in qua noxialis quaeque actio diluitur.“
Hier geht mir zum ersten Mal der schlichte Grund für den Erfolg des Pilgerwesens in allen Religionen auf: “Dies ist ein besonderes Haus, in dem jegliche schädliche/ schädigende Handlung abgewaschen/getilgt wird.“
Die Anziehungskraft dieses ideellen Konzepts liegt in dem Umstand, dass man das unausweichliche wechselseitige Schlagen tiefer Wunden naturgemäß nicht sich selbst verzeihen kann.
Und daher findet man am exterritorialen Ort seine Lossprechung vom „crimen“.
Der Dialektiker in mir weiß aber mit eben der selben Gewissheit, dass die darin liegende Knechtschaft erst dann wirkliche Befreiung garantiert, wenn der Beschmutzte auch sich selber vergibt.
Keine noch so tiefe Durchdrungenheit von „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern...“ ersetzt die Fähigkeit zum Freispruch durch mich selbst als Voraussetzung für die Absolution des Anderen von dessen Schuld.
Übrigens ist diese Ketzerei der ewige Anlass für die Verfolgung der Mystiker durch die Rädelsführer der Amtskirchen.
Jetzt weiß ich, wieso ich fröhlich bin. Ganz ohne die blühenden Mandelbäume und die gelben und orangenen Blumenteppiche unter den endlos auf der Murgia sich dehnenden Olivenbaumgärten.
- Und die Zukunft ist zwar auch nicht mehr, was sie schon mal war, aber Scheitern ist besser, als es erst gar nicht versucht zu haben.
Der Bericht darüber: reden an die mit mir hin.
Da ich hier entbehrlich bin,
packe ich meinen transportablen
Elfenbeinturm und brauche einfach
anderwärts niemanden
auf.
Alle waren sie hier.
Die kolonisierenden Griechen, die an deren Erträgen interessierten Römer, die Steuereintreiber aus Byzanz oder den Sarazenenemiraten, und schließlich die adligen Schlägerbanden aus der Normandie und aus Schwaben. Später verwandelten die französischen Anjous und die spanischen Bourbonen unter kundiger Anleitung des Papstes den erreichten Stand der Unterwerfung in die geschichtslose Statik eines Gefängnisses, was man dem Mezzogiorno heute noch ansieht.
Zu den vielen Dingen, die sich bei all dem nicht ändern, gehört nun mal die Gewissheit, dass jegliches Interesse sich von einem höheren Auftrag belehnen lassen wird. Entweder ganz materiell, wie die Korsaren, die im Dienste Venedigs, Genuas, des Papstes oder des Kaisers vom 15. bis zum 18. Jahrhundert plünderten, was des Brandschatzens wert war, oder eben als Freibeuter der Ideologie wie die bezahlten Sinn-Anstifter der Kirchen.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
I)
Im Vorwort zu seinem berühmten Buch über die Falkenjagd schrieb der einzige vernünftige Regent Süditaliens, sofern man in diesen Zusammenhängen von Vernunft überhaupt reden kann, Friedrich II. von Hohenstaufen also schrieb, es sei seine Absicht, „die Dinge, die sind, so darzustellen, wie sie sind“ – ein Satz, der das Weltbild seiner ganzen Epoche mit lakonischer, ruchloser, hochmütiger Modernität in Frage stellte, und sich bis auf den heutigen Tag noch nicht unangefochten durchgesetzt hat.
Des Bemerkens wert in kulturkämpferischen Zeiten, und schon von den Zeitgenossen als Sensation und mit Abscheu betrachtet ist ferner die Tatsache, dass Friedrich II. sich mit muslimischen Gelehrten und Schöngeistern umgab, sich eine Leibwache aus Sarazenen (muslimischen Piraten) hielt und die apulische Stadt Lucera mit unterworfenen Sarazenen besiedelte, in denen er seine treuesten Untertanen und Anhänger fand.
Den Todfeind durch Einweisung in eine Lebensmöglichkeit zu integrieren?
Da sei der Papst davor!
Und richtig. Seine papale Verfügungsgewalt über die europäischen Hirne und Herzen steckt sich hinter die französischen Anjous, damit endlich der ewig nur Unkosten bereitende Sklavenhandel mit christlichen Untertanen aufhört, und vor allem das unerträgliche Prosperieren von 20 - 60 000 Moscheegängern.
1300 war es dann so weit: die florierenden sarazenischen Koloniebewohner werden in einer Art von kleinem Völkermord allesamt massakriert, und ab sofort werden es gekaperte Sarazenen sein, die auf dem christlichen Sklavenmarkt von Lucera zum Verscherbeln anstehen.
Im Fußboden der Kathedrale von Trani ist seit neuestem eine Platte eingelassen, die dieses Gebäude als „Monumento messagero di una cultura di pace“ ausweisen soll.
Mit Schaudern verlasse ich diesen von mir seit fast dreißig Jahren geliebten, wunderschönen Dom. Dazu muss man wissen: von hier aus schifften sich die christlichen Schlägerbanden nach Ablegung ihres Kreuzzug-Eids ein, um ihrer heimischen Chancenlosigkeit in die zu gründenden Kreuzfahrerstaaten zu entrinnen: Militarismus als Problemlösung.
Draußen ist der mich, und die auf dem Meer schaukelnden Möwen beutelnde, scharfe Nordwestwind genau jener nachwinterliche Frühlingswind mit dem der Frieden in den Krieg outre - mer getragen wurde.
Und weil sich das nicht jeder gefallen lässt, braucht es gleich neben der Kathedrale ein Kastell. Eins von den vielen, mit denen die Normannen und die Staufer sich ihren frommen Weg zur Herrschaft pflasterten.
Kastelle sind nicht etwa schön anzusehende, romantische Baulichkeiten, wie das poetische Gemüt sich das so denkt. Das sind Zwingburgen, an denen zunichte wird, was es in Schussferne gerne anders hätte.
Darüber gäbe es viel zu sagen, aber ist Schreiben nicht die Kunst, etwas zu verstecken, von dem der Schreibende hofft, der Leser werde es schon entdecken?
Das normannische Stauferreich endete übrigens nicht in einem Knall, sondern mit einem Wimmern.
Wenn das Castel del Monte, das die majestätische Herrscheridee der Staufer wie kein anderes in ihrer Reinheit symbolisiert, im Tosen des Frühlingswinds aufjault, dann glaubt man in seinem Heulen dies Wimmern aus den Verliesen zu hören.
Da wurden nämlich die letzten Stauferknäblein Friedrich und Enzio von den siegreichen Anjous für ganze dreißig Jahre lebendigen Leibes dem Vergessen im Kerker anheim gegeben. Der eine verkam und verendete erblindet und verblödet und wurde wie ein totes Tier irgendwo namenlos verscharrt.
Dem anderen gelang bei der Verlegung die Flucht in eine demütigende Odyssee durch Europa. Die adelige Verwandtschaft sorgte dafür, dass seines Bleibens nirgends war. All seine Aufbrüche trieben ihn immer nur weiter in die nächste Abfuhr bis sich seine Spuren unter der heißen Sonne Ägyptens im Wüstensand endgültig verlieren...
glanz und ruhm ! so erwacht unsre welt
Heldengleich bannen wir berg und belt
Jung und gross schaut der geist ohne vogt
Auf die flur auf die flut die umwogt.
Da am weg bricht ein schein fliegt ein bild
Und der rauscht mit der qual schüttelt wild.
Der gebot weint und sinnt beugt sich gern
'Du mir heil du mir ruhm du mir stern'
Dann der traum höchster stolz steigt empor
Er bezwingt kühn den Gott der ihn kor...
Bis ein ruf weit hinab uns verstösst
Uns so klein vor dem tod so entblösst !
All dies stürmt reisst und schlägt blitzt und brennt
Eh für uns spät am nacht-firmament
Sich vereint schimmernd still licht-kleinod :
Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.
(Stefan George: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod)
In Barletta gleich daneben steht die spätantike kolossale Statue eines in Byzanz geklauten Kaisers von über 5 Metern Höhe. In seiner Rechten erhebt dieser unidentifizierbare Herrscher das Kreuz wie eine Nahkampfwaffe kurz vor dem Zuschlagen. Nichts von der Serenität selbstbewusster Machtausübung, die an den Pharaonen ihre eigene Notwendigkeit ausstrahlt.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.
Ach ja, das Ideologenpack!
Unweit Baris hat das faschistische Italien bestimmt, dass da die dermaßen berühmte Schlacht von Cannae stattgefunden habe (Canne della Battaglia), dass wir noch in den 50er Jahren die Jahreszahl ihres Stattfindens auswendig hersagen können mussten.
Im Verlauf des Gemetzels war es den Truppen Hannibals gelungen ,
70 000 von ihren auf römischer Seite arbeitenden Berufskollegen zu töten. Und nun die Stellungnahme des Geschichtsschreibers Livius, auf einer römischen Granitsäule für die nächsten paar Ewigkeiten eingemeißelt, der zufolge die Niederlage -recht bedacht – eigentlich als Sieg zu betrachten sei: „Kein anderes Volk hätte ein derartiges Unglück überlebt....“
Bari
war mit der Beschaffung einer für Kathedralen unerlässlichen Reliquie relativ spät dran, als es sich 1087 die Reliquien des hl. Nikolaus aus Kleinasien verschaffte.
Dieses „Verschaffen“ ist ein Euphemismus für einen kreuzzüglerischen Raubzug, wie das damals als Gemeinschaftsprojekt von Adel, Kirche und Unternehmergeist die übliche Verkehrsform war.
Man legte sich das Gelingen der impossiblen Mission seinerzeit so zurecht, dass der Heilige selber, um dessen wundertätige Gebeine es ging, unbedingt nach Bari wollte.
Da er keinerlei Anzeichen von Protest an den Tag legte, billigte er offenbar den frommen Zweck, ihn dem räuberischen Zugriff heidnischer Sarazenen und Türken zu entziehen.
Angeblich hat dann der Sarg des heiligen Nikolaus jahrhundertelang ein „Manna“ ausgeschwitzt, das morgens mit einem Schwämmchen gesammelt, und zu prohibitiven Preisen an die zahlungskräftige Wundergläubigkeit veräußert wurde.
Böse Zungen behaupten übrigens hartnäckig, dass man seinerzeit den falschen Sarg entführt habe.
Das bedeutendste Kunstwerk im Innern der Kirche ist der Bischofsstuhl des Elias von etwa 1098. Ein Bischofsstuhl hatte meist einen erhöhten Sitz im Vergleich zu anderen Stühlen in der Kirche. Ein solcher Stuhl wird in der Kunstgeschichte mit dem lateinischen Begriff „Kathedra“ benannt.
Den Thron in Baris Kathedrale zeichnet ein interessantes Untergestell aus. Das ganze tragende Gerüst bildet keine bloße physikalische Statik, sondern eine Handlung von Menschlein, denen die Last des geweihten Hinterns, die sie ertragen, deutlich anzusehen ist. Dabei sind die verschiedenen Anteile am jeweiligen Arbeitsaufwand mit katholischem Realismus gut unterschieden. Den beiden Hauptträgern links und rechts krümmt die geweihte Last den Leib, während eine kleinere Figur in der Mitte nur locker eine symbolische Hand mit anlegt.
Vermutlich ein Manna-Käufer.
Im Dom trägt ein kleiner Sarazene das Taufbecken.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin...
Was an den normannischen Kirchen in Süditalien fasziniert, ist ein einzigartiges Raumerlebnis und dessen klare Ansage: im langen Schiff hat man die Illusionslosigkeit der Leidensperspektive bis ans Ende, das mit dem wonnigen Wahn der Erlösung durch einen Gekreuzigten winkt.
Bei längerem Befahren des Meers der Geschichte verliert sich der Glaube an dessen Respekt vor der Anständigkeit ganz von allein.
II
Ewige Dienstbarkeit also scheint dem Menschengeschlecht seit jeher verhängt.
Was trotz allem auf diesem Boden hoffen macht:
- Die Graffiti der lebhaften Anarchistenszene in Lecce, einer nicht sehr berückenden Barockstadt, die abzudienen mir das schlechte Gewissen gebot, das sich bei meinem anerzogenen Kultur-Respekt regelmäßig einzustellen pflegt, sobald der Baedeker punktet.
Diesen Kasperle-Barock, dessen Dekorationslust jede architektonische Aussage überwuchert, kennt man aus Spaniens plataresker Ornamentik zur Genüge. Man muss sich schon arg konzentrieren, wenn man dem Selbstzweck dieses üppigen Zierats die fast zum Verschwinden gebrachte Struktur ablesen will.
Erfreulich hingegen die Graffitiszene in einer Stadt, die von ultra-rechts gebürgermeistert wird, und an deren Polizeipräsidium seit Mussolini prangt: „TUTTO NELLO STATO/ NIENTE AL DI FUORI DELLO STATO/ NULLA CONTRO LO STATO.
Der Hintergrund der Lebhaftigkeit:
Fünf Anarchisten wurden angeklagt und bei fadenscheiniger Beweislage auf der Grundlage eines Terroristengesetzes, das uns so erst noch blüht, zum Einsitzen verknackt, weil sie sich "Farbschmierereien" gegen einen Priester erlaubt hatten, der ein Migranten- Durchgangslager leitet und der, wegen der Misshandlung von 17 marokkanischen MigrantInnen eigentlich Schlimmeres verdient hätte.
Verständlich, dass man dann den berufsmäßigen Enthaltsamkeitspredigern ein bisschen von ihrer eigenen Medizin zu schlucken gibt: ABSTIENITI AL CLERO!( „Beflecke dich nicht mit dem Klerus“!)
Schützenhilfe der Antike
Was auch zum erleichterten Aufschnaufen geeignet ist:
Dem Dichter Horaz wollte man auf seiner Reise nach Brindisi einreden, ohne Feuer und Glut verdampfe der Weihrauch auf heiliger Schwelle.
Seine Reaktion: „Das glaube der Jude Apella,
Nicht ich, welcher gelernt, daß mühelos leben die Götter,
Und nicht, wenn die Natur was Seltsames schaffet, des Himmels Grämliche Mächt' es senden herab aus olympischem Obdach.“
Das ist jetzt über 2000 Jahre her, und siehe da: Frühling und Ausfahrt des Geistes ist also immer möglich.
Zum Pilgerwesen auf dem Gargano
Auf dem Sporn des italienischen Stiefels gibt es einen Monte Sant´ Angelo, ein dem Erzengel Michael gewidmetes, alteuropäisches Pilgerziel. Dort befindet sich eine Tafel, die verkündet: “Haec est domus spezialis in qua noxialis quaeque actio diluitur.“
Hier geht mir zum ersten Mal der schlichte Grund für den Erfolg des Pilgerwesens in allen Religionen auf: “Dies ist ein besonderes Haus, in dem jegliche schädliche/ schädigende Handlung abgewaschen/getilgt wird.“
Die Anziehungskraft dieses ideellen Konzepts liegt in dem Umstand, dass man das unausweichliche wechselseitige Schlagen tiefer Wunden naturgemäß nicht sich selbst verzeihen kann.
Und daher findet man am exterritorialen Ort seine Lossprechung vom „crimen“.
Der Dialektiker in mir weiß aber mit eben der selben Gewissheit, dass die darin liegende Knechtschaft erst dann wirkliche Befreiung garantiert, wenn der Beschmutzte auch sich selber vergibt.
Keine noch so tiefe Durchdrungenheit von „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern...“ ersetzt die Fähigkeit zum Freispruch durch mich selbst als Voraussetzung für die Absolution des Anderen von dessen Schuld.
Übrigens ist diese Ketzerei der ewige Anlass für die Verfolgung der Mystiker durch die Rädelsführer der Amtskirchen.
Jetzt weiß ich, wieso ich fröhlich bin. Ganz ohne die blühenden Mandelbäume und die gelben und orangenen Blumenteppiche unter den endlos auf der Murgia sich dehnenden Olivenbaumgärten.
- Und die Zukunft ist zwar auch nicht mehr, was sie schon mal war, aber Scheitern ist besser, als es erst gar nicht versucht zu haben.
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