Mittwoch, 22. April 2015

Inselhüpfen 1 (Westliche Kykladen, Frühjahr 2015): Athen


Athen


Herrlicher Spaziergang über die alte Agora, die Akropolis, die bewaldeten Parkhügel Philopappos und den Pnyx, und den Areopagfelsen.
Hier soll der gegen die Vielgötterei missionierende Paulus die ersten beiden Athener für die neue Lehre gewonnen haben: eine Damaris und einen Dionysus, mit der ausgepinselten Zukunftsperspektive einer demnächst ausbrechenden allgemeinen Gerechtigkeit im letzten Weltgericht. Zur Beglaubigung führte er einen bereits von den Toten Auferstandenen ohne nähere Namensnennung an.
Reaktion der Athener: allgemein freundliches Desinteresse an diesem neuen „unbekannten Gott“ und der Form der Beweisführung.
Sie zogen einen anderen Typ von Geschichten mit einer mehr der Lebenswelt zugewandten Relevanz vor.
Die Griechen glaubten, dass alles, was es so gibt, Ergebnis eines Agon (Kampfes) sei.
Also: Warum ist Athene die Schutzgöttin von Athen und nicht Poseidon? Der wäre doch wegen der Meerlage genau so gut als Schutzmacht in Frage gekommen.
Die von den Priestern erfundene Story erzählt, der nützliche Ölbaum der Athene habe im Kampf gegen die Salzquelle des Poseidon obsiegt.
Der attische König Kekrops, der diesen Agon zwischen zwei Göttern inszenierte, wurde vom Verlierer mit dem ewigen Umherirren auf der salzigen Brühe Poseidons bestraft.
Merke: wenn du dich auf die Seite des Siegers schlägst, stelle sicher, dass dich die darin angelegte Dialektik nicht ereilen kann.

Du siehst, mit solchen Memorabilien kann ich einfach mehr anfangen.

Mich hätten sie übrigens zum hauptamtlichen Konzeptionisten von herzerhebenden Spaziergängen machen sollen!
Tiefroter fettig glänzender Mohn mit teerschwarzem Kreuz im Blütenherzen. Der gelbe nickende Hornklee.
Na und die Brennnesseln sind auch am Strotzen.

Unter den fotografierenden Touristen fällt ein neuer Sozialtyp auf: der "selfies" (Selbstaufnahmen) schießende selbstverliebte Narziss.
Neuerdings läuft der nicht nur hinter seinem ausgestreckten langen Arm her, um passende Hintergründe für sich zu finden.
Jetzt bringen die schon Verlängerungen des Arms mit: eine Metallstange, an deren Ende die Dokumentationsmaschine der Selbstverliebtheit befestigt ist.
Ich früherer zufälliger Passant ("Könnten Sie bitte mal ….? Hier müssen Sie draufdrücken.) werde auch hier nicht mehr gebraucht.

Habe auch die anderen „grünen Stellen“ in diesem Steinhaufen aufgesucht.
In Kifissia (Villenvorort) sieht man an den Bauten, dass der Reichtum der Reichen aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg stammt. Und dass das Konzept des Gemeinsinns nicht von den zum Reichtum Verurteilten Agonisten erfunden wurde.
Scheußliche Schuhschachteln. Aber einer, der was zu sagen hatte, ist auf die gute Idee verfallen, die Bäume zwischen den Anwesen stehen zu lassen.
Man geht wie im Wald.
Die Bürgersteige zwischen den Anwesen sind allerdings lebensgefährlich vernachlässigt. Wozu braucht so ein Reicher den Weg zum Nachbarn, wenn er nur sicher auf sein Grundstück kommt? Schließlich muss man ja irgendwo mit dem Sparen anfangen.
Wofür er sein Geld braucht?
Zum Beispiel für eine Jaqueline Onassis, ehemals Kennedy, die vor der freundlichen Übernahme des keine Steuern zahlenden Reeders zu ihrer Zeit 80 Millionen pro Jahr ausgab. Unter Kennedy musste sie mit einer mickrigen halben Million jährlich darben.
Na ja .

Viktoriapark:
Eine Heldenbüstenallee. Und die Brennnesseln und das Getreide schießt durch die Sitzleisten der Parkbänke.
Rondelle und Rabatten verunkrauten. Die Seitenpfade überwächst ein wucherndes Grün. Irgendwo muss man ja mit dem Sparen mal anfangen.
In der Metro Bettelmusikanten und andere Bettler.
Schlafstellen der Obdachlosen, wo es windstill ist.
Rhythmische Sprechchöre der studentischen Demonstranten im Universitätsviertel.
Man fordert mehr Geld für den Bildungssektor.
Na ja.
Dann wird es ja wohl werden.
Dem kann sich doch das Euro-Spardiktat unmöglich verschließen.

Warum ich mal wieder alles "am Geld aufhänge"?
Weil alles vom Geld abhängt.
Leute, die in behaglichen Umständen leben, definieren solches aus dem "Geist" raus, oder reden alternativ vom "Ungeist des Materialismus" oder verfassen gleich aus ihren Umständen heraus eine Unabhängigkeitserklärung jeglicher Subjektivität.
Da waren die ollen Griechen aber ganz anderer Meinung. Sie unterschieden ganz zu Recht zwischen einem "hypokeimenikos" und einem "antikeimenikos", also einem irgendwie unterstellenden, subjektiven Denken von ihnen verdächtigen Subjekten einerseits, die sich merkwürdigerweise was auf ihre kolossal unmaßgebliche Meinung einbilden, und einem schlicht aber hartnäckig "Gegenüberliegenden", eben einem objektiv vorhandenen Gegenstand, den man nur unter Strafe geistiger Verkommenheit ignorieren darf.
Ihr geistiger Kosmos war nämlich noch nicht zusammengschrumpft auf die Maße des Rumspinnens von Verwirrten auf der bundesrepublikanischen Insel der Seligen.

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