PIRÄUS, Yachthafen, da, wo es wie in „Schöner Wohnen“ ist.
Der Bettler, der Rest Pizza und die Gelangweilte.
Seit längerem steht ein Rest Pizza zur Abholung durch den Kellner breit.
Einer, der nicht wie ein Kellner wirkt, nähert sich gebeugt dem Tisch an der Wasserfront des poshen Cafes.
Er muss die Gesättigte wohl um den Rest ihrer Pizza gebeten haben. Denn ich höre sie laut „Nä!“ („Ja“) sagen.
Und sehe sie die Pizza auf den Boden kippen.
Moralische Empörung über eine solche Drecksau verpasst die Chance, den Gehorsam dieses Charakters kritisch, d. h. ohnmächtig, zu referieren. Sie exekutiert nur, was alle über den Nichtsnutz längst als Urteil gesprochen haben.
Denn, nicht wahr, im Agon gibt es nur Sieger und Besiegte, die es sich beide selber zuzuschreiben haben.
Piräus ist etwas, wo man hinfährt, um von da wegzufahren.
Ägina
„Wenn
es diese fernen Tage noch gäbe,
barfuß
würde ich hinlaufen,
um
sie zu begrüßen.“
(Griechisches
Volkslied)
Inselpfade:
wo
kein Fels ist, tritt man auf Geblümtes.
Viele
der Pistazienbäume, für die Ägina berühmt ist, sind verstorben,
entweder durch Vernachlässigung der Erben, die lieber ein Schild
aufstellen: „Zu verkaufen“,
oder durch den kalten Winter.
Ein
griechischstämmiger Architekt aus Amerika misstraut den Griechen: er
ist schließlich selber einer. Typischer Selfmademan („Ich war
nichts, und jetzt schau mich an!“) Kann deswegen auch die
Schwarzen, diese loser, nicht leiden: „Die machen alles, wovon sie
glauben, dass sie damit durchkommen.“
Na
ja. Reisebekanntschaften.
Der
griechische Psychologe am Nachmittag war da erfreulicher. Er hält
die Griechen ebenfalls für „cheats“, also korrupte Betrüger.
Man darf dem Urteil eines freien Mittelständlers trauen, der sich
über das Selbstbild von Seinesgleichen im Agon hervorragend
auskennt.
Außerdem
seien sie begeisterte Ikonoklasten: sie schöpften Heroen und
zerschlügen sie anschließend mit der selben Begeisterung.
Das
klingt nach Alexis Zorbas.
Ja.
Das
zeigt sich auch daran, dass es selbst in London eine Gedenkmarke für
den Romancier Nikos Kazantsakis gibt. Aber nicht hier, wo zwar ein
Ort nach ihm benannt ist, aber nicht das Haus gekennzeichnet wird, in
dem er zeitweilig wohnte.
Hat
da die Kirche ein Wort mitzureden: der war Buddhist und Kommunist.
Das geht ja nun mal gar nicht!
Schöne
Küstenwanderung mit dem fernen Epidauros im Schneekleid. Hier pinkes
Habichtskraut und ein weiss-lila den Boden deckender Kreuzblütler (Malcolmia),
neben all dem anderen blütigen Zeugs.
Wandern:
unbeaufsichtigt, und nichts und niemand verdrängend, außer der
Luft vor deiner Brust.
Bin also da
reichlich rumstrawanzt. Gibt hier einen Heiligen namens Nektarios,
dem sie eine schöne orthodoxe Riesenkirche errichtet haben. Warum
ich Heide in so was reingehe? Mir sagt Schönheit was, und auch zu.
Die alte, mehrfach
von den Venezianern und den Türken abwechselnd zerstörte Palichora
(Alte Stadt) mit den vielen Kirchlein gleich daneben aufgesucht.
Da konnte man es
mal wieder sehen: die venezianischen Christen unterscheiden sich von
den üblichen Zerstörern nur dadurch, dass sie vorher noch schnell
irgendwelche Heiligen einkaufen gehen.
In diesem Falle,
nämlich dem der Palichora, handelt es sich um den Heiligen Georg,
den Katholiken, der seit damals bis jetzt in San Giorgio Maggiore,
Venezia, liegt.
Über Pfade zu dem
schon von Weitem sichtbaren Aphaia-Tempel, oder sollte man besser DEM
Aphaia-Tempel sagen? Dessen Skulpturenschmuck steht in der Münchener
Glyptothek. Ausnahmsweise mal nicht geklaut.
Ich erinnere mich
an diese begeisternden Beispiele der aus der statischen Archaik
hervorwachsenden Klassik und ihrer Serenität, die den Tod wie das
Leben ernst nimmt. Die weitere Entwicklung der antiken Skulptur wird
über die Feier der Individualität als den Garanten alles
gesellschaftlich Guten zur Vergöttlichung des Herrschers an allen
Straßenecken gehen.
Bei diesem
Personenkult ist das Abendland seit fast zwei Jahrtausenden
stehengeblieben.
Seriphos
Bin
einer Frau Zwingenberger zufällig wieder begegnet. Die hatte mir
letztes Jahr am Hafen ihre seit einem schweren Unfall marode
Freundin vor der Überfahrt nach Piräus anvertraut.
Jetzt
ist diese überfallartige Frau mit ihren stürmischen 75 Jahren eine
Barbara.
Wir
lieben beide Serifos, diese relativ ursprüngliche, also gnadenlose
Insel. Einen Arzt oder etwas Ähnliches gibt es hier nicht. Entweder
man übersteht eine Krankheit mit dem Beistand eines befreundeten
Menschen, oder man stirbt auch ohne die Hilfe eines Mediziners.
Seit
der Fahrt mit ihrem alten Auto kenne ich die Schicksale aller Häuser
an der Südostküste bis Megali Livadi:
„Und
da, wo der rote Wimpel flattert, wohnt unser Kommunist... da oben hat
ein deutsches Paar gelebt...nur gestritten...der Mann hat sich
umgebracht...hier links wohnt ein Amerikaner, der einmal im Jahr
kurzfristig herkommt … innen wie eine ägyptische Grabstätte mit
Sternenhimmel...“
Diese
wie ein Schweizer
Käse durchlöcherte Bergbaugegend hatte, bevor das unrentabel wurde,
ein Deutscher namens Grohmann ausgeplündert. Keine Gewerkschaft,
keine Sicherheitsvorkehrungen, viele Tote.
„Am
7. August 1916 kam es zum Streik, als sich die Arbeiter weigerten ein
Schiff zu beladen. Die Forderungen sahen eine achtstündige
Arbeitszeit, Lohnerhöhung sowie die Einhaltung von
Sicherheitsmaßnahmen vor. Am 20. August forderte Grohmann Hilfe bei
den griechischen Behörden an. Um Nahrungsmittel- und
Solidaritätslieferungen aus Patras und Athen zu unterbinden wurden
Polizeikräfte und ein Kriegsschiff zur Insel beordert. Der Streik
eskalierte am 21. August 1916. Als die Gewerkschaftsführer von der
Polizei festgehalten wurden, versammelten sich die Arbeiter zusammen
mit ihren Familien an der Verladebrücke um die Beladung eines
österreichischen Dampfschiffes zu verhindern. Nach Ablauf eines
Ultimatums gab der Dienst habende Leutnant Feuerbefehl. Vier Menschen
wurden getötet mehr als 30 verletzt. Als sich daraufhin die Menschen
mit Steinen zur Wehr setzten, ließ auch der Minenbetreiber seine
Wachleute in die Menge schießen. Auch der Leutnant, ein
Unteroffizier sowie zwei Polizisten wurden getötet .“
(Quelle:
Wikipädia)
1965 geschlossen, wurden die Minen zum Kulturdenkmal erklärt.
Wir
verstehen: Denk mal, Kultur - wie sie geht und steht – ist: Hunger,
Krankheit und Tote zu produzieren.
Für
ein Kulturdenkmal braucht man übrigens für das Vor-sich-Hinrottende
nichts mehr zu tun.
Ernle
Bradford beschrieb noch in den 60ern in seinem Guide zu den
griechischen Inseln die Einwohner der Insel als ängstlich und
verschreckt.
Zum Wandern ist diese Insel aber hervorragend geeignet.
Es gibt da sogar eine Stelle, von wo aus ich gerne meine dereinstige Asche in den Wind gestreut sähe. Ein kleiner, ins Meer vorschiessender Landrücken, von dem man im Frühjahr in diese quasi irische Küstenlandchaft zerfließt.
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