Materialien zu einem Bericht
NATURschwärmerei
Es gibt ein Hostel namens
Mjølfjell. Und an der Bergenbahn liegt
eine Station gleichen Namens. Da denkt man doch, diese beiden Dinge
stünden in einer näheren Beziehung zueinander.
Ach, meine Freunde und innigst geliebte Feinde, wir alle haben weit gefehlt. Um genau zu sein: um 6,5 km.
Zunächst ist da erst mal keiner da, den man fragen könnte, in welcher
Richtung denn nun das Vandrerhjem liege. In die Wildnis hinein gibt es
da mehrere Möglichkeiten.
Ah, da hinten stehen zwei legginsbestrumpfte Softshells über eine Karte gebeugt.
Hier sind wir und da geht’s hin und:
- „
You choosed a very fine day.“
- “Can´t remember! Must have choosen me. Accidentally.”
Das ist aber auch ein Tag, um den Weg unter die Füße zu nehmen!
Windstille Bläue.
Die Fichtenzeilen jenseits der Seen kippen in die Spiegelfläche. Die schöne Welt gleich noch einmal.
In den verlandenden Blänken zahllose kleine Spinnennetze, aus denen die Tautropfen blitzen.
Und die vom Alkohol aufgeweichten Muskeln haben inzwischen wieder ihre
Spannkraft aufgebaut: es läuft sich gut in das Birkenlichtgeriesel
hinein. Wie gut, dass es mich gibt, und wir einander haben!
Mittags dann Aufbruch zu einer wunderbaren Tour zu - und um -einen See
südwestlich des Hostels. Bei dessen rechtsseitiger Umrundung kommt man
an einen Punkt, wo die Szenerie jenseits des Sees die Beine spreizt, und
du gehst einfach in Richtung mons pubis weiter, wenn der Pfad sich
verliert.
Die Schafe blöken empört. Dabei latsche ich noch nicht einmal in ihrem
Essen herum und verzehre nur Preiselbeeren, Blaubeeren und Himbeeren.
Das Geschlecht der Liegenden mit den gespreizten Oberschenkeln entpuppt
sich als Schlucht, aus der es reichlich in den See wässert. Problem:
schmerzhaft mit nackten Füßen über die glitschigen Steine furten, oder
an der engsten Stelle, welche die tiefste und reißendste zu sein pflegt,
einen Sprung riskieren. Bubenkünste!
Dann der Aufstieg zum nächsten See durch den Birkengürtel. Der Auslauf des oberen Sees stürzt sich fächerförmig über Stufen.
Ringsum die greisen Häupter der Berge ebnen sich ein zu einer sanft
dahingleitenden Linie. Das 360 Grad Panorama, eine unaufhörlich
dahinrollende Woge...
Dieser Linie wegen werde ich immer wieder nach Skandinavien gehen.
Bin hoffnungslos in sie verschossen.
Ich hab sie in mein Herz geschlossen.
Den Schlüssel hab ich weggeschmossen.
Und wenn ich sterbe, kann ich euch jetzt schon meine letzten Worte verraten: „Die Linie, die Linie...“
Den Kartenpunkt 1204 steuere ich weglos durch Rentierflechte und
vertrocknete Moose an. Außer mir keiner da im weiten Rund. Und wer es
noch nicht weiß, dem verrate ich es jetzt, was mir die Natur da oben
geflüstert hat:
„
Ich bin nicht von ungefähr weiblichen Geschlechts. Ich will gar
nichts von dir. Im Grunde bist du mir vollkommen gleichgültig. Wenn du
es aber raus hast, wie ich genommen sein will, gebe ich dir alles, was
du dir mir gegenüber herausnimmst.“
Fahrt mit dem Expressboot in den Sogne-Fjord hinein nach Flåm:
Das ist eine Fjellwanderung, ohne dass man auch nur ein Glied rühren
müsste. Man schwebt erst in einer verwirrenden Schärenlandschaft herum
und hofft, dass der Kapitän schon wissen wird, was er da treibt.
Es wird immer dramatischer, wenn der Fichtenwaldgürtel über sich
hinausführt in das krönende Kahlfjell, auf das eine Zunge des
Jostedalgletscher herablappt.
Was soll man sagen? Wenn einer mit Wärme von seiner Liebe spricht,
erkaltet der Zuhörer augenblicklich, und sein Blick beginnt ziellos,
aber hilfesuchend, umherzuirren.
Daher nur soviel zum Charakter der Fjordwände:
Sie sind Schürfwunden. Die rissigen Schrunden im Fels glänzen von den
Schmelzwassern der Schneefelder. Im grauen Grind sprießt Grün in den
Spalten und Bändern.
Und dieser uralte rissige Schorf gibt einem das Vertrauen zurück, dass
es auch Heilung gibt für diesen hier herumstrawanzenden Haufen wild
gewordener Moleküle.
Das Leben ist eben nicht eine langsam verblutende Wunde.
“I've never seen a sight that didn't look better looking back
I was born under a wandrin' star
Life can make you prisoner and the plains can bake you dry
Snow can burn your eyes, but only people make you cry
Home is made for coming from, for dreams of going to
Which with any luck will never come true
I was born under a wandrin' star.”
Wer mehr oder gar anderes über die Spezifika der Liebe zur norwegischen
Natur erfahren will, der gehe hin und versuche es doch selbst einmal.
Zur Mythologie der Linie
Wenn man oberhalb von Bergen auf dem Ulriken steht, hat man im Westen
das Flachrelief der Schären und der noch "jungen" Fjordlandschaft vor
Augen. Das Charakteristische des Prospekts ist die elegante
Verflochtenheit der Linien.
Man begreift: die Linie ist keine Begrenzung.
Umgekehrt: ohne sie wäre das andere nicht. Sie ermöglicht es in ihrem
tastenden Suchen. Hat sie sich irrtümlich festgelegt, wird sie es das
nächste Mal besser machen.
Im Grunde gibt es sie ja gar nicht. Sie ist das, was beim Aufeinanderstoßen der Felder passiert.
Und diese Spannungsverhältnisse in ihrem Schwung!
In fernöstlichen Tuschlandschaften auf Seide wird Geschehnis, was ich
meine. Da wächst etwas aus dem Nichts und verweht. Alles Dichtere mehr
Wolke als feste Greifbarkeit.
Das Gegenteil davon: der Klecks.
Der Klecks hat in dieser Welt nichts weiter vor, als sich in seiner
Kleckshaftigkeit zu befestigen und eventuell mehr aus ihm selbst
Gleichartigem zu werden. Er kann sich gar nicht vorstellen, dass es
etwas geben könnte, das sich selbst voraus ist.
„
Aber das geht doch gar nicht!“ sagt Seine Klecksität ernst und mit besorgtem Blick auf die Linie.
Sich selbst voraus zu sein, ist aber die Bedingung dafür, einen Klecks
durchqueren zu können. Die schwarze Linie entwirft sich in die schwarze
Klecksität und braucht dem Projekt dann nur noch zu folgen. Sie läuft
sich buchstäblich selber nach.
Der Klecks selber merkt davon gar nichts, dass etwas optisch mit ihm
Identisches ein von ihm Unterschiedenes sein solle. Bislang waren noch
alle eingemeindeten Kleckse genau so klecksig wie er.
An seinem anderen Ende der Durchquerung angelangt entwirft sich die Linie erneut ins Freie und läuft sich ins Offene nach.
Als seinerzeit die Amphibien sich aus dem Wasser warfen, mussten das genau solche verspielten Typen gewesen sein.
Von einer, die es wissen muss, habe ich auf der Kunstmeile von Bergen
die Bestätigung erfahren, dass dem im Ästhetischen genau so ist. Der
norwegischen Künstlerin des abstrakten Expressionismus, Anna-Eva Bergman
, war eine Ausstellung ihrer Zeichnungen gewidmet.
Eine andere, die sich in solchen Sachen auskennt, meint - und damit sind
wir schon Drei! - zur geschwungenen, ausladenden Linie:
Die Kurve ist die schönste Linie zwischen zwei Punkten. (Mae West)
Norwegische Menschenkünste
Bei so viel Unterschiedlichem im Bereich der Ars und der griechischen
technê muss man einfach sortieren. Und vielleicht ist ja die bloße
Technik doch etwas anderes als die Kunst. Mal nachschauen.
- Das geht schon los beim Hammer als Waffe der alten Wikinger. Seine Verhimmelung: der Hammer in der Hand des Gottes Thor.
Die damit verbundene Militärdoktrin, dass ein Gegner, dem man mit einem
seitlich geführten Streich in die Kniegegend das Knie gebrochen hat, als
kampffähiger Feind nicht mehr in Betracht kommt, gehört eindeutig in
den Bereich der Techne.
- Magnus Hakonarson Lagaboetir (‚Gesetzesverbesserer'), König von. Norwegen 1263-1280 ließ aufschreiben: „
Sollte
ein christlicher Haufen oder sonst einer zur Strafe der sündigen
Menschheit uns in kriegerischer Absicht heimsuchen, werden wir dem Ruf
unseres Königs zu den Waffen folgen.“ Das gehört eindeutig unter die
Rubrik der Herrschaftstechnik. Vor allem, wenn man den Einzelheiten der
staatlichen Sicherheitsvorkehrungen nachgeht. Je nach Einkommenslage
mussten diese Armen im ersten Jahr ihrer Erwerbsfähigkeit sich eine Axt
zulegen, im zweiten einen Schild, im dritten eine Lanze.
Man beachte die Reihenfolge! Ein vernünftiger Mann hätte mit der
Distanzwaffe Lanze angefangen, sich dann einen Schild zugelegt, und erst
ganz zum Schluss die Axt. Aber es geht ja nicht um deine Sicherheit,
sondern um die Verteidigung deines Herrn.
- Norwegen ist im Designbereich ein sehr produktives Land. Die Museen in
Oslo und Bergen zum Thema Gebrauchskunst sind hervorragend sortiert,
und man nimmt an Regentagen belustigt zur Kenntnis, dass die
industrielle Fertigung von Kunst-Affinem und das Kunsthandwerk so
manches hübsche Elaborat für die unterschiedlichsten Geldbeutel
hervorbringt. Vielleicht sollte man aber doch darauf bestehen:
„
Guter Geschmack ist der Feind der Kreativität.“ (Pablo Picasso)
- Da lobe ich mir doch die Straßenkunst eines Dolk.
http://gategallerier.blogspot.com/search?q=Dolk
(Nach Aufruf des links zum 13. Mai 2010 scrollen!)
Der Gefangene, der sich in diesem Schablonengraffitti auch noch eigenhändig stigmatisiert!
Oder ist er einfach der normale Trottel, der seine Freiheit negiert, um mit seinen angeblichen Fesseln zu kokettieren?
In beiden und allen noch denkbaren Fällen wird von der grundsätzlichen Freiheit ein sehr fragwürdiger Gebrauch gemacht.
Denk mal an!
- Vor dem Friedensnobelpreis-Gebäude zu Oslo steht eine Installation.
Ein Neonlichtschriftzug hebt intermittierend LAUGHTER oder S/LAUGHTER
hervor.
Gut, es gibt keine komplexere Moral, die auf diesen grotesken
Zusammenhang noch nicht verfallen wäre. Was es also mit der Sozialkritik
in der Kunst auf sich hat, kann man dem Leuchtband, das zwischen Spaß
und Schlächterei im fun hin und her zuckt, entnehmen.
Sicherlich hat diese Installation etwas gegen das bewusstlose Einstimmen
ins „konsentierende FUN-dom“, aber aufzuckende Freude über diesen
blutigen Witz unter Einverständigen ist schon das ganze selbstbezügliche
Ergebnis.
Es ist die Kunst der konformierenden Asozialen, die keine fünfzig
Schritte weiter den letzten Friedensnobelpreisträger bedenkenlos feiert.
Der Grund für die Wahl Obamas als den letzten Preisträger ist die
hiesige Ideologie eines überkommenen, gnadenlosen Sozialismus. Und die
nimmt seit jeher (also seit Lenins Ausrufung eines neuen Moralsystems)
die Absichtserklärung schon für die Tat. Als ob sie wüsste, dass die
Realität noch jedes Ideal in Scheiße verwandelt, optiert sie für ein
uneinsichtiges „Dennoch.“
- Kommen wir also zur repräsentativen Kunst im öffentlichen Raum. In
Bergen wurde die ehemalige Börse zu einem effektiven Touristenbüro
umgewidmet. Ich sage das ohne Anzüglichkeit. Die Wandfresken feiern –
wie im Osloer Rathaus – die vorindustriellen Lebenswelten des Arbeiters.
Die Formgebungsidee ist auch hier eine gebremste Moderne. Will heißen:
es gibt stilistische Entlehnungen aus dem Expressionismus in der
ansatzweisen Geometrisierung der Körper, aber alles sehr dezent.
Das hat dem Künstler wohl hier in Bergen – wie dort in Oslo - den
Zuschlag verschafft. Ohne dass explizit von entarteter Kunst die Rede
ist, degradiert der normale Kunstverbraucher eine Kunstidee zu einem
gefälligen Abweichen vom Wiedererkennbaren. Er macht den Expressionismus
zu einer Manier, und die kommt ihm von den Manieren, den
selbstverständlich guten.
- Wo die Wohltemperiertheit des Schicklichen vermisst wird, gibt die
Wohlmeinendheit keinen Deut aus. Das musste der Maler Arne Ekeland
erfahren, als er seine Entwürfe für die Fresken des Osloer Rathaus
einreichte, und sich darin Arbeiterschaft und Bürgertum eben nicht
beseligt in die Arme fallen, um die anzustrebende Klassenharmonie zu
feiern.
Eins seiner berühmteren Gemälde ist der „Letzte Schuss“. Es hängt im
Nationalmuseum und stellt einen kleine Verkehrsinsel dar, auf der sich
ein Kleriker im Habit und ein Banker mit weiterem Anhang dem final
show-down stellen. Was man auf dem folgenden link nicht so recht
erkennen kann
http://www.ekeland.org/232.html
ist: der Kleriker neben dem einstürzenden Bankgebäude zielt resigniert
ein letztes Mal mit einem gewaltigen Revolver auf die Übermacht der
massenhaft heranstürmenden Nackten.
Oder ist es ganz umgekehrt?
Eine Gestalt links im Vordergrund hat einen Radkranz in der Rechten (Allegorie der Industrie) und anstatt eines Kopfes
EINE KIRCHE
auf den Schultern schweben.
Überhaupt viel Sozialkritisches, was sich der reiche, sponsierende
Spender namens Sejerstedt Bødtker geleistet hat. Einer der Schleichwege
des schlechten Gewissens, sich ein gutes zu verschaffen, ist nun mal das
Mäzenatentum.
Dennoch habe ich der Führerin in der Osloer City-Hall widersprochen. Die
Arbeiterbewegung kam und kommt nicht aus Russland, sondern aus der
Sache selbst.
Reisende Menschen in Norwegen 2010
Es gibt - wie bei den Daheimbleibern halt auch - unterwegs den üblichen repräsentativen Querschnitt durch das genus humanum.
Es gibt in der Hostel - Szene aber doch unübersehbare Neuerungen.
Während die Hostels früher für die Regentage Bücher bereit hielten, gab
es im „Sentrum Pensjonat“ nicht eins zu greifen. Die ehemalige
„Bibliothek“ war aber gut gefüllt mit Ausleihbarem: mit DVDs in ihren
Hüllen.
Ich beklage mich nicht, ich stelle fest: die elektronischen Medien haben
die Szene doch sehr verändert. Früher fielen nur die Japaner unangenehm
auf. Sobald sie sich den Schlafraum zugeteilt hatten, forschten sie –
auch durch Abrücken des Bettes, in dem du liegst - nach dem power
point, um ihre Akkus aufzuladen. Wühlen dann in den mitgeschleppten
Musik—Oblaten, Ohrenschützer auf, und weg waren sie. Japaner sind keine
Reisenden, sie sind Dagewesene.
Nicht weiter schlimm, denn fast alle konnten eh nur, was ihnen ihre
Mutter vorgeplappert hatte, oder das angebotene English war so gut wie
nicht decodierbar. Die einzige Japanerin, deren englisch ich mühelos
verstehen konnte, stellte sich als eine in Kanada lebende Honkong -
Chinesin heraus.
Heute belegt der traveller sein Bett, öffnet sein Mäuse-Büro (Laptop)
und ist dicht. Im Rezeptionsbereich des Aker-Hostels (Oslo) war das
Verhältnis der Laptopstreichler zu den daneben sitzenden Entgeisterten 9
zu 3. Die haben sich dann halt auch resignierend zugestöpselt.
Ich habe den Eindruck, die Generation der Einge- und Verstöpselten nimmt
ihre Ohrenschützer überhaupt nur noch ab, wenn sie im Gesicht ihres
Chefs Mundbewegungen gewahren. Konformierende Asoziale.
Ich erwähne das bloß, damit sich keiner falschen Vorstellungen über die
Selbstgestaltungsfähigkeit der Massen hingibt, von der immerhin mal die
Möglichkeit der historischen Arbeiterbewegung abhing. (Grund dürfte die
allgemein genährte Auffassung sein, dass das in katastrophale
Unsicherheit geworfene Sicherheitsbedürfnis der Abhängigen etwas zu
verlieren habe.)
Neuerdings geht man nicht mehr mit dem Rucksack, sondern dem
Rollwägelchen für den Computer auf eine Welt los, die man als
persönliches Angebot zu würdigen gedenkt, oder mit herber Kritik
quittiert, wenn dem ach so individuellen gusto nicht Rechnung getragen
wurde.
Beispielsweise findet im Schönheitswettbewerb des Tourismus folgendes
Arrangement großen Beifall: Ankunft der Flåmbahn am Kjosfossen bei
Myrdal.
Per Lautsprecher werden 5 Minuten Aufenthalt am Wasserfall angekündigt.
Rechts neben dem gewaltigen Naturschauspiel erscheint zu
sehnsuchtsvoller Melodei eine blonde Schönheit in zigeunerischen roten
Plünnen und tanzt was Selbstvergessenes.
Und verschwindet schlagartig hinter einer Geländefalte.
Ihr überraschendes Verschwinden wird aufgewogen durch das zeitgleiche
Erscheinen einer blonden Schönheit in zigeunerischen roten Plünnen, die
was Selbstvergessenes zu der sehnsüchtigen Melodei tanzt. Diesmal mittig
vor dem Wasserfall und gut zwanzig Meter davon entfernt. Und so weiter.
Die baffmachende Koinzidenz von Verschwinden und Rematerialisierung an
anderem Ort lässt die Fotografen befriedigt aufschnaufen und ihre
Apparate auf Video schalten. Man ist Zeuge eines raffiniert inszenierten
Video-Clips gewesen.
Und was war wirklich?
Leere Mystik des Schaustellergewerbes als Wertangebot.
Einen besonders krassen Anwendungsfall meiner Privatmythologie von
Klecks und Linie muss ich unbedingt festhalten für mein schon schütter
werdendes Gedächtnis.
Ich teile eine Campinghütte in Geilo mit einem, der so inkarnierte
Schweiz ist, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, sein
Gesprächspartner könnte eventuell Anstoß nehmen an dem neuesten
schweizerischen Beschluss des Minarettverbots. Hier sein umwerfendes
Argument:
„
Und wenn wir ins Ausland gehen, was ist uns da nicht alles verboten!“
Ihn ängstigt auch die Osloer Szene mit ihrer multi-kulturellen Mischung. Da wäre er doch eher für „
eine härtere Gangart in der Immigrationspolitik.“
Mein Gott, was für ein Klecks!!
Hier hilft nur die Mimikry der Linie. Aber heimlich denkt man sich:
Genau, die Aufklärung hat nie stattgefunden, die paar bürgerlichen
Freiheiten, die der moderne Staat sich wenigstens irgendwo hin
aufgeschrieben hat, dass man das gelegentlich mal nachlesen könnte,
gehören sich dem generellen Freiheitsverzicht auch noch
hinterhergeworfen.
Es lebe seine Majestät, der Klecks!
Wie so gar wundersam anders der 72-jährige, ehemalige Hotelmanager aus
den Niederlanden. Ich stoße in Voss auf ihn, wie er gerade in
Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ liest. Er reise, um von der
NATURE zu lernen, was bei seiner NURTURE (in mehr als einem bloß
materiellen Sinne) falsch gelaufen sei.
Es ging uns beiden so gut wie lange nicht mehr. Wie man einander Hand in
Hand arbeitet, so lachten wir - einander Erratenden - Hand in Hand.
Seiner Königin habe er anderthalb Jahre auf Papua-Neuguinea als
Friedensheld gedient. Diese segensreiche Tätigkeit im Dienste des
holländischen Kolonialismus habe zu 300 000 Toten im indonesischen Raum
geführt. Er war nämlich nicht nur Augenzeuge wie die Missionare sich die
Eingeborenen sexuell gefügig machten, sondern auch unter ihnen
aufräumten.
Folgender obszöne Song sei ferner keine bloße Parodie, sondern die Praxis der Missionare gewesen:
Far have I travelled and much have I seen
had blow jobs from bancis
and fucked things obscene
been cripled by herpes and things far more
fire
but if you want a blow job go to Irian Jaya.
CHORUS:Irian Jaya,to be
gobbled by natives is what I desire.
They practice on blowjobs in Irian
Jaya.
Mit einem geschätzten Vermögen von über drei Milliarden Dollar zählt
sein Königinnenhaus übrigens zu den reichsten Frauinnen der Welt.
Ich helfe ihm aus: „
Ja wenn man in New York seit Peter Stuyesant
mehrere Straßenzüge an Immobilien sein eigen nennt, ist das kein großes
Kunststück.“
„
Und eine meiner Freundinnen, eine Jüdin, macht sich Kummer über die
Höhe der Wiedergutmachung, die man ihr für ihre Olivengärten und die
Todesangst gezahlt hat!“
Wie man sieht: halt zwei harmlose Verrückte unter sich.