29. 10.
Flug
nach Lamezia Terme und Mietwagenfahrt nach Tropea.
Wenn
Du Dir den italienischen Stiefel anschaust, dann liegt Tropea
auf der Warze auf dem grossen Zeh von Süditalien.
Die ein wenig unheimliche Stille der Nachsaison.
31.10.
Heute
wieder einen faulen Tag mit einer Rundfahrt verbracht, unter immer
noch heisser Sonne.
Morgens
nach Capo Vaticano gefahren. Hat nix mit
dem Vatikan zu tun. War in der Antike ein "Kap der Prophezeiung"
fuer die Schiffer, die die gefaehrliche Meerenge von Messina
passieren wollten.
Schoener
Blick auf gestaffelte Kuestenklippen von einer Gelateria aus auf
einem Klippensporn. Das ist hier an der Westkueste von Kalabrien die
Regel: Klippe eines Bergriegels, Bucht, Klippe eines Bergriegels,
Bucht ....
Dann
nach Zungri. Auf dem Weg dort hin
ploetzlich griechische Woerter: Panagia, Tripodi. Richtig, das ist ja
griechisches Kolonisierungsgebiet, und es soll heute noch Doerfer
geben, da wird altgriechisch gesprochen. Zungri selbst ist ein Wort,
das Tuff oder Abhang bedeutet. Beides trifft die in das
Sedimentgestein gehauenen Hoehlenwohnungen eines mittelalterlichen
Dorfes sehr gut. Habe mir dort eine fossilierte Muschel aus dem
Gestein gebrochen. Abends am Strand von Briatico
eine von ihren zahlreichen Nachfahrinnen in die Tasche
geschoben. Da sage noch einer , das Leben hinterlasse keine Spuren,
oder doch nur etwa so wie das Schiff im Meer.
Strandspaziergang
mit Bier in der kuehlen Abendbrise mit Blick ueber den Golf von
Lamezia. Vor fast 50 Jahren das erste Mal das Meer gesehen!
Es
hat sich nicht veraendert. Ich schon!
Sein
Gleichmut spricht jetzt ruhig mit dem meinen. Ich, das Gleichgewicht
ueber dem Wahnsinn nach den ueblichen verwehten Lust- und
Angstschauern.
Mit
der italienischen Post bin ich sehr unzufrieden. Was ist, wenn man
seine Postkarten wegschicken will?
"Montag
bis Freitag letzte Leerung 12 Uhr mittags." Also heute (Donnerstag, 13 Uhr) tun die erst
mal nix. Und morgen (Freitag) ist Ognissanti (Allerheiligen). Da wird
erst recht nix gearbeitet. Samstag kommt sowieso nicht in Frage. Mit
anderen Worten: fruehestens naechsten Montag laesst sich der Postler
herbei, zu leeren. Dann kommen also die Karten wieder erst, wenn ich
zurueck bin.
Wenn
Dir einer erzählt, die Italiener hätten die Arbeit erfunden, glaube
ihm nicht.
1.
11.
Wieder so ein Tag, der
vom Standpunkt des Wanderers in die Tonne getreten gehoert. Bin sogar
abends noch mal den bequem gewendelten Weg zum Strand
runtergestiegen, um wenigstens einmal am Tag in Schweiss zu geraten.
Habe dabei entdeckt, dass links neben dem Stromboli ja noch die
anderen liparischen Inseln aufgereiht sind.
Morgens die Halbinsel
verlassen zu einer weiteren 200 km-Tour.
Nicòtera
(Betonung auf der vor-vorletzten Silbe, also griechische Kolonie).
Herrlicher Blick ueber den Golf von Gioia.
Man sieht hinter Messina bis zum Aetna
auf Sizilien.
Bedeutend war dieser
Ort unter Friedrich II, dem wirklich Grossen. Er hat den Juden gleich
neben der Kathedrale ein Viertel zugewiesen. Da bluehte das Handwerk
der Seidenweber, Goldschmiede ...usw. Friedrich hat sich nur eine
"colletta" (Steuer) ausbedungen, und allen war wohl dabei.
Kommen da die
verbloedeten "Reyes catholicos" aus Spanien, im Tross die
Dominikaner mit ihrer Inquisition und haben was gegen das unreine
Blut der Juden. 1511 Rausschmiss Bekehrungsunwilliger hier und
ueberhaupt im spanisch beherrschten Teil von Sueditalien. Das Ende
vom Lied war und ist das jahrhundertelange Elend des
Auswandererwinkels und Raeubernests Mezzogiorno.
Da ist uebrigens neben
der Kathedrale der uebliche Padre Pio in Bronze zu besichtigen. Ein
Reliquienschrein zu seinen Fuessen enthaelt ein Stueck von seinem
Handschuh, der eifrig gekuesst wird.
Ognissanti
heisst, dass viel Betrieb in den Totenstaedten (Friedhoefen)
ist, und ausser Blumenhaendlern, Barbieren und Bars hat alles dicht.
Nachmittags quer
ueber den Stiefelfuss zu dem „Hallux valgus“ auf der Seite des
Jonischen Meers.
Da liegt ebenfalls
eine Kolonie der Griechen (Locri) mit
einer pikanten Gruendungslegende. Die adligen Frauen der Lokrer
machten sich mit Schiff und maennlichen Sklaven auf und uebers Meer,
weil ihre Gatten mehr Zeit im Krieg als im Ehebett zubrachten. Sie
favorisierten skandaloeserweise auch lauter weibliche Gottheiten. In
ihren Kulten verehrten sie die Aphrodite (Goettin der Liebe), Demeter
und Persephone (Goettinnen der Fruchtbarkeit).
Ich bin ganz auf ihrer
Seite.
Wenn schon verehrt
werden soll, dann doch wohl noch am ehesten die Frau. Dass sie etwas
Goettliches hat, merkt man schon an der Wucht, mit der diese
Naturmacht die Geschlechter aufeinanderprallen macht. Und dann dieser
laecherliche Beitrag der Maennchen zu allem, was da gedeihen sol!
Erst die Fruchtbarkeit des Mutterbodens macht doch erst was Rechtes
draus.
Oder so aehnlich.
Dann Gerace
am Rande des Aspromonte. Der
erste Eindruck von diesem Gebirge: ich muss da unbedingt wieder hin,
und zwar gezielter als diesmal.
Soeben
entzuendet der Wirt rechts neben mir Kerzen unter einer
Madonnenstatue.
Na ja, vielleicht
hilft ja die Madonna gegen das augenblicklich heftig tobende
Gewitter.
Hier im Ort teilen auf
einer Gedenktafel "TROPEANI DEVOTI" der staunend lesenden
Menschheit mit, dass im August 1943 die Amerikaner sechs Bomben ueber
Tropea ausgeklinkt haben, und keine einzige der in einen Baumgarten
gefallenen Bomben ist explodiert, wegen der
Intervention ("intercessione") der Madonna SS di Romania!
11.
Heute
wieder so ein Tag mit Urlaubsspaziergaengen fuer mich und
Weitwandern fuers Auto.
Immer schoen an der
Kueste des Tyrrhenischen Meers entlang auf der alten SS18, rauf auf
einen Bergriegel, runter in die naechste Bucht, rauf auf einen
Bergriegel...usw. in ewigen Serpentinen.
Waere nicht so
schlimm, wenn die Italiener nicht so einen anarchischen Fahrstil
pflegten. Und dann auch noch an Allerseelen, wo der Betrieb in
der Naehe der Totenstaedte zum Hochbetrieb auflaeuft. Zwei Kilometer
vor einem grossen Friedhof und zwei danach stehen links und rechts
Autos, obwohl die durchgezogenen Linien am Strassenrand eigentlich
bedeuten, dass man hier ueberhaupt nicht halten darf.
Irgendwelche
Verkehrsvorschriften betrachtet der Italiener offenbar als
Vorschlaege einer unwissenden Obrigkeit, deren fehlerhafte Auffassung
man als Rechtsuntertan stillschweigend korrigieren muss.
Erster Halt war
Palmia. Da habe ich den Lido gesucht,
aber nicht gefunden. Stattdessen bin ich an die Bahnlinie geraten,
auf halber Hoehe zwischen dem Ort und dem Meer, und da habe ich einen
Spazierweg ganz fuer mich allein gehabt. Links versteckt neben der
Bahnlinie. Offenbar eine einst geplante zweite Trasse, die aber nie
verwirklicht wurde. Lief aus in einen Bahnwaerterpfad, und dann hatte
ich einen herrliche Blick auf die naechste Bucht. Sehr befriedigend,
solche Strolchereien.
Zweiter Halt in
Scilla. Das ist das antike Skylla.
Vorsicht, Mythologie- und Erdkundeunterricht! Der olle Homer erzaehlt
in seiner Odyssee, dass da ein sechskoepfiges Ungeheuer auf die
Seefahrer lauerte, und gleich nebenan die Charybdis, von der auch
nichts Gutes zu erwarten war. Und da musst du nun als Schiffer durch!
Die damit gemeinte
Felsen, die die antike Schifffahrt offenbar so gefaehrlich machten,
sind bei diversen Erdbeben laengst verschwunden. Der schoene Fels mit
normannischem Kastell drauf existiert noch.
Zurueck im Hui auf der
Autostrade del sole, die immer noch nix kostet.
Durfte heute nicht
vergessen gleich morgens zu tanken, denn die Tankwarte sind sehr
unzufrieden mit mir, der ich unverschaemterweise auch noch samstags
nach 12:00 Uhr Bezin gerne gegen Euros eintauschen wuerde. Der
italienische Geldscheineinsammler schaltet aber mittags seine
Tankautomaten auf Selbstbedienung und hoehere Preise (Zwischen 1,72
und 1, 93 Euro der Liter). Irgendwie muss er ja das Schutzgeld fuer
die ´Ndrangheta zusammenkriegen.
Irgendwie habe
die es wirklich nicht so mit der Arbeit. Aber das Geld haben sie
lieb wie der Rest der Welt auch.
03. 11.
Morgens nach Reggio
di Calabria gebraust auf der Autobahn. Herzerhebend: Blaue
Teppiche von praechtigen Prunkwinden, Autobahn und italienischer Rock
bei einer Lautstaerke, die die Lungen mitzittern lassen.
Das
mit dem strassenverstopfenden Totenkult hoert immer noch nicht auf.
Und die rueden Fahrsitten auch nicht. Der Standpunkt des Italieners
ist offenbar."Wo ich bin, kann logischerweise kein anderer sein.
Wenn denen ihr Leben lieb ist, sollen sie doch sehen, wie sie damit
zurecht kommen."
Und
so kommt es, dass dir auf deiner Fahrbahn ein Italiener
entgegenkommt. Er kann sich darauf verlassen, dass du alles daran
setzen wirst, die Situation zu entkrampfen. Die sind einfach dreist.
Selbst 2 (ZWEI!) durchgezogene Mittelinien,( um die Fahrbahnen
voneinander zu trennen,) sagen dem Italiano, der dich ueberholen
will, erst mal gar nix.
Man
gewoehnt sich dran, mit allem zu rechnen. Dann geht das sogar prima.
War
nach Reggio gefahren, um die bronzenen Krieger von Riace anzuschauen.
Dann
bin ich auf dem "schoensten Kilometer von ganz Italien"
gelustwandelt. Eine Strandpromenade mit gigantischen Gummibaeumen und
Palmen Und da drueben das ist Sizilien.
Nachmittags
auf den Montalto im Aspromonte
zugefahren. Elende Kurbelei bis man von Null Hoehenmetern auf 1400
ist. Fuer mich hat sich das nicht gelohnt. Fuer Italiener mag ja
dieses groesste zusammenhaengende Waldgebiet spektakulaer sein, mir
hat bloss das Klima gefallen.
Summa
summarum : wieder ein Tag auf Jesuslatschen. Das voellig neue
Lebensgefuehl.
04.11.
heute etwas lustlos
auf geteerten Nebenstrassen auf den Monte Poro
raufgemacht. Das ist sozusagen die Warze, auf der sich hier
alles Bucklige zusammenfindet, ganz oben. Mehr so eine Hochflaeche.
Und das Massiv selber ist dergestalt, dass immerzu irgendwelche Gnome
den Horizont gerade dann nach hinten verschieben, wenn du grade mal
nicht hinschaust.
Habe
fuers Mich-Raufschaffen 2 Stunden vom Auto aus gebraucht. Runter
laenger, weil ich da wieder auf abenteuerlichen Pfaden kreuz und quer
durch Natur und Kulturland maeanderte. Das hat mir schon arg gut
gefallen.
Dabei
habe ich auch meinen ersten Bergamottebaum
gesehen. Die Fruechte sehen aus wie etwas kleiner geratene Orangen
mit ganz glatter Haut. Das Zeug waechst ueberhaupt nur hier in der
Provinz Reggio, und das ist das, was der Earl Grey sich an den Tea
tut. Im Koelnisch Wasser ist die Bergamotte mit ihrem Oel auch
vertreten.
Wusstest
Du eigentlich , dass hier auch das Suessholz geraspelt wird, fuer die
Lakritze?