Dienstag, 12. November 2013

Kalabrienmails



29. 10.
 Flug nach Lamezia Terme und Mietwagenfahrt nach Tropea.
Wenn Du Dir den italienischen Stiefel anschaust, dann liegt Tropea auf der Warze auf dem grossen Zeh von Süditalien. 
Die ein wenig unheimliche Stille der Nachsaison.


31.10.
Heute wieder einen faulen Tag mit einer Rundfahrt verbracht, unter immer noch heisser Sonne.
Morgens nach Capo Vaticano gefahren. Hat nix mit dem Vatikan zu tun. War in der Antike ein "Kap der Prophezeiung" fuer die Schiffer, die die gefaehrliche Meerenge von Messina passieren wollten.
Schoener Blick auf gestaffelte Kuestenklippen von einer Gelateria aus auf einem Klippensporn. Das ist hier an der Westkueste von Kalabrien die Regel: Klippe eines Bergriegels, Bucht, Klippe eines Bergriegels, Bucht ....

Dann nach Zungri. Auf dem Weg dort hin ploetzlich griechische Woerter: Panagia, Tripodi. Richtig, das ist ja griechisches Kolonisierungsgebiet, und es soll heute noch Doerfer geben, da wird altgriechisch gesprochen. Zungri selbst ist ein Wort, das Tuff oder Abhang bedeutet. Beides trifft die in das Sedimentgestein gehauenen Hoehlenwohnungen eines mittelalterlichen Dorfes sehr gut. Habe mir dort eine fossilierte Muschel aus dem Gestein gebrochen. Abends am Strand von Briatico eine von ihren zahlreichen Nachfahrinnen in die Tasche geschoben. Da sage noch einer , das Leben hinterlasse keine Spuren, oder doch nur etwa so wie das Schiff im Meer.
Strandspaziergang mit Bier in der kuehlen Abendbrise mit Blick ueber den Golf von Lamezia. Vor fast 50 Jahren das erste Mal das Meer gesehen!

Es hat sich nicht veraendert. Ich schon!
Sein Gleichmut spricht jetzt ruhig mit dem meinen. Ich, das Gleichgewicht ueber dem Wahnsinn nach den ueblichen verwehten Lust- und Angstschauern.

Mit der italienischen Post bin ich sehr unzufrieden. Was ist, wenn man seine Postkarten wegschicken will?
"Montag bis Freitag letzte Leerung 12 Uhr mittags." Also heute (Donnerstag, 13 Uhr) tun die erst mal nix. Und morgen (Freitag) ist Ognissanti (Allerheiligen). Da wird erst recht nix gearbeitet. Samstag kommt sowieso nicht in Frage. Mit anderen Worten: fruehestens naechsten Montag laesst sich der Postler herbei, zu leeren. Dann kommen also die Karten wieder erst, wenn ich zurueck bin.
Wenn Dir einer erzählt, die Italiener hätten die Arbeit erfunden, glaube ihm nicht.



 1. 11.
Wieder so ein Tag, der vom Standpunkt des Wanderers in die Tonne getreten gehoert. Bin sogar abends noch mal den bequem gewendelten Weg zum Strand runtergestiegen, um wenigstens einmal am Tag in Schweiss zu geraten. Habe dabei entdeckt, dass links neben dem Stromboli ja noch die anderen liparischen Inseln aufgereiht sind.
Morgens die Halbinsel verlassen zu einer weiteren 200 km-Tour.
Nicòtera (Betonung auf der vor-vorletzten Silbe, also griechische Kolonie). Herrlicher Blick ueber den Golf von Gioia. Man sieht hinter Messina bis zum Aetna auf Sizilien.
Bedeutend war dieser Ort unter Friedrich II, dem wirklich Grossen. Er hat den Juden gleich neben der Kathedrale ein Viertel zugewiesen. Da bluehte das Handwerk der Seidenweber, Goldschmiede ...usw. Friedrich hat sich nur eine "colletta" (Steuer) ausbedungen, und allen war wohl dabei.
Kommen da die verbloedeten "Reyes catholicos" aus Spanien, im Tross die Dominikaner mit ihrer Inquisition und haben was gegen das unreine Blut der Juden. 1511 Rausschmiss Bekehrungsunwilliger hier und ueberhaupt im spanisch beherrschten Teil von Sueditalien. Das Ende vom Lied war und ist das jahrhundertelange Elend des Auswandererwinkels und Raeubernests Mezzogiorno.
Da ist uebrigens neben der Kathedrale der uebliche Padre Pio in Bronze zu besichtigen. Ein Reliquienschrein zu seinen Fuessen enthaelt ein Stueck von seinem Handschuh, der eifrig gekuesst wird.
 Ognissanti heisst, dass viel Betrieb in den Totenstaedten (Friedhoefen)  ist, und ausser Blumenhaendlern, Barbieren und Bars hat alles dicht.
 Nachmittags quer ueber den Stiefelfuss zu dem „Hallux valgus“ auf der Seite des Jonischen Meers.
Da liegt ebenfalls eine Kolonie der Griechen (Locri) mit einer pikanten Gruendungslegende. Die adligen Frauen der Lokrer machten sich mit Schiff und maennlichen Sklaven auf und uebers Meer, weil ihre Gatten mehr Zeit im Krieg als im Ehebett zubrachten. Sie favorisierten skandaloeserweise auch lauter weibliche Gottheiten. In ihren Kulten verehrten sie die Aphrodite (Goettin der Liebe), Demeter und Persephone (Goettinnen der Fruchtbarkeit).
Ich bin ganz auf ihrer Seite.
Wenn schon verehrt werden soll, dann doch wohl noch am ehesten die Frau. Dass sie etwas Goettliches hat, merkt man schon an der Wucht, mit der diese Naturmacht die Geschlechter aufeinanderprallen macht. Und dann dieser laecherliche Beitrag der Maennchen zu allem, was da gedeihen sol! Erst die Fruchtbarkeit des Mutterbodens macht doch erst was Rechtes draus.
Oder so aehnlich.
 Dann Gerace am Rande des Aspromonte. Der erste Eindruck von diesem Gebirge: ich muss da unbedingt wieder hin, und zwar gezielter als diesmal.
 Soeben entzuendet der Wirt rechts neben mir Kerzen unter einer Madonnenstatue.
Na ja, vielleicht hilft ja die Madonna gegen das augenblicklich heftig tobende Gewitter.
Hier im Ort teilen auf einer Gedenktafel "TROPEANI DEVOTI" der staunend lesenden Menschheit mit, dass im August 1943 die Amerikaner sechs Bomben ueber Tropea ausgeklinkt haben, und keine einzige der in einen Baumgarten gefallenen Bomben ist explodiert, wegen der Intervention ("intercessione") der Madonna SS di Romania!
  1. 11.
    Heute wieder so ein Tag mit Urlaubsspaziergaengen fuer mich und Weitwandern fuers Auto.
Immer schoen an der Kueste des Tyrrhenischen Meers entlang auf der alten SS18, rauf auf einen Bergriegel, runter in die naechste Bucht, rauf auf einen Bergriegel...usw. in ewigen Serpentinen.
Waere nicht so schlimm, wenn die Italiener nicht so einen anarchischen Fahrstil pflegten. Und dann auch noch  an Allerseelen, wo der Betrieb in der Naehe der Totenstaedte zum Hochbetrieb auflaeuft. Zwei Kilometer vor einem grossen Friedhof und zwei danach stehen links und rechts Autos, obwohl die durchgezogenen Linien am Strassenrand eigentlich bedeuten, dass man hier ueberhaupt nicht halten darf.
Irgendwelche Verkehrsvorschriften betrachtet der Italiener offenbar als Vorschlaege einer unwissenden Obrigkeit, deren fehlerhafte Auffassung man als Rechtsuntertan stillschweigend korrigieren muss.
 Erster Halt war Palmia. Da habe ich den Lido gesucht, aber nicht gefunden. Stattdessen bin ich an die Bahnlinie geraten, auf halber Hoehe zwischen dem Ort und dem Meer, und da habe ich einen Spazierweg ganz fuer mich allein gehabt. Links versteckt neben der Bahnlinie. Offenbar eine einst geplante zweite Trasse, die aber nie verwirklicht wurde. Lief aus in einen Bahnwaerterpfad, und dann hatte ich einen herrliche Blick auf die naechste Bucht. Sehr befriedigend, solche Strolchereien.
Zweiter Halt in Scilla. Das ist das antike Skylla. Vorsicht, Mythologie- und Erdkundeunterricht! Der olle Homer erzaehlt in seiner Odyssee, dass da ein sechskoepfiges Ungeheuer auf die Seefahrer lauerte, und gleich nebenan die Charybdis, von der auch nichts Gutes zu erwarten war. Und da musst du nun als Schiffer durch!
Die damit gemeinte Felsen, die die antike Schifffahrt offenbar so gefaehrlich machten, sind bei diversen Erdbeben laengst verschwunden. Der schoene Fels mit normannischem Kastell drauf existiert noch.
Zurueck im Hui auf der Autostrade del sole, die immer noch nix kostet.

Durfte heute nicht vergessen gleich morgens zu tanken, denn die Tankwarte sind sehr unzufrieden mit mir, der ich unverschaemterweise auch noch samstags nach 12:00 Uhr Bezin gerne gegen Euros eintauschen wuerde. Der italienische Geldscheineinsammler schaltet aber mittags seine Tankautomaten auf Selbstbedienung und hoehere Preise (Zwischen 1,72 und 1, 93 Euro der Liter). Irgendwie muss er ja das Schutzgeld fuer die ´Ndrangheta zusammenkriegen.
 Irgendwie habe die es wirklich nicht so mit der Arbeit. Aber das Geld haben sie lieb wie der Rest der Welt auch.
 03. 11.

Morgens nach Reggio di Calabria gebraust auf der Autobahn. Herzerhebend: Blaue Teppiche von praechtigen Prunkwinden, Autobahn und italienischer Rock bei einer Lautstaerke, die die Lungen mitzittern lassen.
Das mit dem strassenverstopfenden Totenkult hoert immer noch nicht auf. Und die rueden Fahrsitten auch nicht. Der Standpunkt des Italieners ist offenbar."Wo ich bin, kann logischerweise kein anderer sein. Wenn denen ihr Leben lieb ist, sollen sie doch sehen, wie sie damit zurecht kommen."
Und so kommt es, dass dir auf deiner Fahrbahn ein Italiener entgegenkommt. Er kann sich darauf verlassen, dass du alles daran setzen wirst, die Situation zu entkrampfen. Die sind einfach dreist. Selbst 2 (ZWEI!) durchgezogene Mittelinien,( um die Fahrbahnen voneinander zu trennen,) sagen dem Italiano, der dich ueberholen will, erst mal gar nix.
Man gewoehnt sich dran, mit allem zu rechnen. Dann geht das sogar prima.

War nach Reggio gefahren, um die bronzenen Krieger von Riace anzuschauen.

Dann bin ich auf dem "schoensten Kilometer von ganz Italien" gelustwandelt. Eine Strandpromenade mit gigantischen Gummibaeumen und Palmen Und da drueben das ist Sizilien.

Nachmittags auf den Montalto im Aspromonte zugefahren. Elende Kurbelei bis man von Null Hoehenmetern auf 1400 ist. Fuer mich hat sich das nicht gelohnt. Fuer Italiener mag ja dieses groesste zusammenhaengende Waldgebiet spektakulaer sein, mir hat bloss das Klima gefallen.

Summa summarum : wieder ein Tag auf Jesuslatschen. Das voellig neue Lebensgefuehl.

 04.11.
heute etwas lustlos auf geteerten Nebenstrassen auf den Monte Poro raufgemacht. Das ist sozusagen die Warze, auf der sich hier alles Bucklige zusammenfindet, ganz oben. Mehr so eine Hochflaeche. Und das Massiv selber ist dergestalt, dass immerzu irgendwelche Gnome den Horizont gerade dann nach hinten verschieben, wenn du grade mal nicht hinschaust.
Habe fuers Mich-Raufschaffen 2 Stunden vom Auto aus gebraucht. Runter laenger, weil ich da wieder auf abenteuerlichen Pfaden kreuz und quer durch Natur und Kulturland maeanderte. Das hat mir schon arg gut gefallen.
Dabei habe ich auch meinen ersten Bergamottebaum gesehen. Die Fruechte sehen aus wie etwas kleiner geratene Orangen mit ganz glatter Haut. Das Zeug waechst ueberhaupt nur hier in der Provinz Reggio, und das ist das, was der Earl Grey sich an den Tea tut. Im Koelnisch Wasser ist die Bergamotte mit ihrem Oel auch vertreten.
Wusstest Du eigentlich , dass hier auch das Suessholz geraspelt wird, fuer die Lakritze?

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