Freitag, 3. Oktober 2014

Kos-Schnippsel

  1. September: Kardámena
    Weil es mir eigentlich schon jetzt zu heiß ist, sitze ich jetzt um10:00 Uhr in einem trostlosen Massentourismus-Kaff namens Kardámena bei 27 Grad Celsius im Internet-Cafe,
Diese Hotel- und Tavernen-Ansammlung scheint eine Art „Ballermann“ für Liebhaber von Parties zu sein: Saufen, was in 2 Stunden in dich reingeht, für 14 Euro.

Werde mich auf eine Suche nach der Festung machen, die man bei der Anfahrt von links drüben locken sieht.

Stunden später:

Die Festung Andimachia habe ich bei meinem Streifzug quer durch die verbrannte Pampa nicht gefunden.
Dafür verdistelte Stoppelfelder, die in Ziegenpfade übergingen und im Nichts endeten.
Dazu muss man wissen, dass Ziegen beim Überwinden von Geländestufen sehr viel geschickter sind als alte Männer. Vor allem beim Rückweg durch Stechginster und Kameldorn.
Interessante Erfahrung.
Muss ich aber nicht immer haben.

Das einzige Griechische ist hier übrigens das Klima.
Man muss die deprimierenden Nah-Erlebnisse einfach übersehen und sich auf die Inseln in der Ferne konzentrieren.
Das Übersehen übt man ja lebenslänglich oder lernt es spätestens auf die harte Tour in Kalkutta. (Wie gestern die Flüchtlinge auf ihren Decken unter freiem Himmel vor der Einreisebehörde, oder die vernachlässigten Felder mit dem um sich greifenden Rhizinus. Usw..)

Die Hauptbeschäftigung der Touristen - nach dem Rösten (Sunbed + Umbrella 6 Euro) oder Peeling durch knabbernde Rufa - Fischchen in Aquarien, (Füße 10 Euro, Hände 5 Euro per halbe Stunde) besteht im Herumgurken mit Motorrollern auf der Suche nach einem noch nicht vermüllten Strandabschnitt, um dort ihren Müll zu hinterlassen, mit dem festen Vorsatz, nie wieder eine derart vermüllte Insel aufzusuchen.

Die Tourismusbranche hatte hier in Kardámena reichlich Gelegenheit, ihr Menschenbild an der unförmigen englischen Arbeiterklasse zu schulen: verfressen, versoffen, verblödet.

Dieses Menschenbild funktioniert auch generalisiert: auch andere Europäer, die es hier her verschlagen hat, können kaum etwas anderes machen.
Ach doch: shoppen gehen.
Aber unschön.

Oder e-mails schreiben.
Umringt von verfetteten Kids, die imaginäre Feinde auf ihren Monitoren killen.
Sind Eltern in der Nähe, hört man sie nach Ice-Cream quengeln.


26. September: Küstenradeln
- Na toll!
jetzt habe ich mir eine Blase in den neuen Stiefeln gelaufen. Hat gestern schon gezwickt, habs aber nicht ernst genommen.

Na super!
Jetzt wird also doch geradelt. Zuerst mal um die Südostspitze herum zu einer naturbelassenen Therme am Strand. Die Badegäste haben offenbar jede Menge faule Eier verfrühstückt.

Mittlerweile ist es fast Mittag und mir fällt wie schon gestern auf: das Schönste an Kos ist bei 30 Grad eine Fahrt im klimatisierten Bus. Die kann gar nicht lang genug dauern. Hoffentlich macht der Fahrer noch ein weiteres Bögelchen rein! Gott sei Dank braucht so ein Bus für 23 Km fast eine Stunde.
Ebenso schön ist ein Einkauf im klimatisierten Carrefour - Supermarkt. Vorzugsweise in der Nähe der Tiefkühltruhe hält man sich gerne auf und tut so, als ob man eine Lektion im Studium griechischer Lebensmittel durchziehen wollte. Wenn die Schlange an der Kasse nicht lang genug ist, macht man eine kleine Runde zusätzlich.

Das Schönste sind natürlich die Sonnenuntergänge. Dann wird das Klima so menschenfreundlich, und der Himmel im Westen nimmt die Farbe des Rotweins an, mit dem du dem schwächelnden Helios zuprostest.

Obwohl, es ist schon ziemlich blöd, bei etwas Schönem an etwas noch Schöneres zu denken. Der trojanische Krieg um Helena z. Bsp. wurde veranlasst durch die erste Suche nach der Schönsten. 
Eris, die Göttin der Zwietracht warf einen Zankapfel in die Runde, um einen gewissen Paris dazu anzustiften, die Schönste von drei  Göttinnen zu wählen. 
Das konnte nicht gut ausgehen,
Die Gewählte half ihm dann beim Klauen der Helena. 
Der Rest ist die bekannte blutrünstige Heldensaga, die das jugendliche Gemüt ansprechen dürfte. Besonders in den Hollywood-Fassungen.

Im deutschen Märchen führt die Frage nach dem Superlativ von schön sogar zu einem - wenn auch nur vorübergehenden - Giftmord!

Ebenso wie es ja nun wirklich objektiver Quatsch ist, ein Schönstes bestimmen zu wollen, ist es subjektiv eine schlichte Tatsache, die man dann beispielsweise heiratet.

Man tut in jedem dieser Fälle aber immer gut daran, einfach mal die Schnauze zu halten.


- Ich stelle fest, man kann auch an den Stätten des Massentourismus in den Genuss intensiver Erlebnisse gelangen.

War es gestern der Erwerb einer Blase am rechten Hacken, ist es heute der Schmerz am Ex des Pod, vulgo Podex.

Es ist ja ganz hübsch, an der Nordküste entlang zu radeln, mit Blick auf die Bergketten auf der Bodrum - Halbinsel und die Schwammtaucherinsel Kalýmnos nebenan, aber mit meiner Statur haben die Radverleiher wohl nicht gerechnet.
Und so kommt es, dass die Kraftübertragung von den Beinen, deren Knie sich etwa auf Höhe meiner Brustwarzen befinden, auf die Tretmühle etwas mühsam ausfällt, und in der Gegend der Sitzbeine sich eine unerwünschte Intensität einstellt.

Das hört ich jetzt so an, als wünschte ich, der Gegenstand allgemeinen Mitleids zu werden.
Nichts da! Kaum steigt man ab, riecht man die Blüten der Frangipani, sieht die reifen Tomaten- und Paprikafelder.
Kürbisse und Bohnen nicht zu vergessen.

Und all das brauche ich zu allem schönen Überfluss auch keineswegs, und auch erst recht nicht in gebückter Haltung abernten.

Ein Tag ohne wenigstens einen Gedanken  ist der erste des dich beschleichenden Gehirntods.
Na und?
Kein Hirn, kein Kopfweh.

 27. September
- Regentag.
Bus in ein Bergdorf namens Pyli. Wegen heftigen Regens buswendend zurück.

Versuch, die Museen abzuklappern:

- Archeologisches Museum: geschlossen während der gesamten Saison
- Casa Romana: geschlossen, dito
  • Museum italienischer Architektur: dito
  • .
  • Touristeninformation? Ja das war mal. Vor der Ära Merkel.
Danke, Frau Merkel! Ihr Sparprogramm ist der große Wurf!
 Es wird überhaupt nur noch "die Ärmel aufgekrempelt", und es gehört sich bloß noch Mehrwert geschaffen.
Das Betreiben von Luxuriosa frisst doch nur Staatsknete für das Personal.
Und wer arbeitet, hat sowieso keine Zeit auf die dummen Gedanken zu kommen, zu denen Museen verleiten.
Gut, ne?

Nach Mittag Fahrt in das Bergdorf Zia.
Schön da. Vor der Kulisse einer gewaltigen Kalkwand. überhaupt nix zu meckern.

Reisen ist nun mal so.
Für den Reisenden gilt: Er ist nicht da wegen der Flucht vor dem Alltag.
Die Reise ist sein Alltag.
Nur der Tourist glaubt, es gehe dabei um das ganz Andere.


28. September
Furchtbarer Sturm während der ganzen Nacht. Die Segelschiffe nannte man früher „Windjammer“. Nach dieser Nacht weiß ich warum.
Die gebuchte Fähre nach Nissiros kam nicht.
Was tun?
Da war kein Büro offen, wo man hätte fragen können.
Riskant auch die morgen eventuell ausfallende Rückfähre. Der gebuchte Flug wäre dann weg.
Es ist halt die Zeit der Äquinoktial-Stürme.

In der Antike stellte man um diese Zeit überhaupt alle Seefahrt bis zum nächsten Frühjahr ein.
Schon den Apostel Paulus hat es seinerzeit quer über das Mittelmeer nach Palma geweht.
 Panik.
Also doch den Verlust der Fährkosten und des auf Nissiros gebuchten Hotels in Kauf nehmen, und hier wieder in Kos unterkriechen.

Sonntagsfrust.
Man könnte zwar mit den Bussen ein attraktives Ziel ansteuern, kommt aber nicht mehr am selben Tag zurück.

Blieb noch das Asklipiadeion, die größte Heilstätte (Kuranlage) der Antike.
Schon gewaltig, was da an Heiligem und Heilendem hingestellt wurde. Auch die Lage der Anlage selber, dreifach gestufte Terrassen mit gigantischen Treppenaufgängen an einem Abhang über der Küstenebene, dürfte ein Gratis-Hilfsmittel bei der Genesung gewesen sein.

Kuriosum: unter den Votivgaben für erfolgreiche Heilung fand ich nicht nur Arme und Beine, sondern auch „von den Männern deren Ding“.

(Seltsam, was die Leute alles so sich zusammenglauben.

Die Frauen glauben anscheinend in diesen entgötterten Zeiten an eine käuflich erwerbbare ewige Jugend.
Hier ist jedes fünfte Geschäft der Beweis dafür:
zweieinhalb Regale Kosmetika links, und rechts zweieinhalb Regale mit Alkoholika für die Männer, die vom Erfolg der teuren Zaubermittel vorhersagbar nicht überzeugt sein werden und von einem gewissen Alter an sich resistent gegen alles mögliche zeigen.)

Der Arzt Hippokrates, der mit dieser Anlage in Zusammenhang gebracht wird, beeindruckt mich schwer zu Beeindruckenden seit jeher.
Zwar scheint er noch an die alten Götter geglaubt zu haben, aber man höre ihn und bestaune sein " Nichts geschieht, ohne natürliche Ursache."
Das ist nämlich der entscheidende Schritt aus dem Mythos als Weltbild heraus, hin zur Wissenschaft, einem Weltbild, das mir eher zusagt, weil es keine merkwürdigen Forderungen an dich stellt, sondern nur verlangt, dich den Gesetzen der Sache zu beugen, willst du sie beherrschen.

Werde den Nachmittag wohl verblödeln müssen.

In meines Herzens Grunde bin ich wohl das, was die Leute sich unter einem Penner vorstellen:
im Park rumsitzen unter knalligen Granatapfelbäumen und inmitten  irgendwelcher knalliger Blüten etwas aus der Hand essen, und sein Bier in Ruhe trinken, ist für unsereinen der wahre Lebensstil.

Das richtige Leben der richtigen Menschen findet ohne mich statt.


29. September
- Diesmal habe ich aber die alte Festung Andimachia gefunden.

War eine schöne Wanderung hier her. Mit Blick auf die verpasste Insel Nissiros
schob mich ein kühlender Meltemi behutsam vor sich her durch ganz viele blühende weiße Meerzwiebelfelder. Die Regenfälle hatten dieses giftige Liliengewächs wohl dazu angeregt, sich eifrig um seine Vermehrung zu kümmern.

Auf dem Festungsgelände hat es ein der Heiligen Paraskevi geweihtes Kirchlein.
Als Attribut trägt diese Blutzeugin dafür, dass es besser ist als Christin zu sterben, denn
unter den bekannten Lebensbedingungen weiterzumachen, ihre Augen auf einem Teller.
Ist also eine, die für Augenleiden zuständig ist.

Mich wundert, warum die Leute sich wundern, dass ein Haufen Anhänger des Mohammed
sich in einen heiligen Krieg mit tödlichem Ausgang stürzt, sich aber keineswegs wundern über irgendwelche hunderttausendfachen Märtyrer ihres Heiligenkalenders. 

30. September: Dikéos
- Heute der unrelativierbare Höhepunkt auf Kos.
Soll heißen, höher geht es halt hier nimmer als auf die 846 Höhenmeter des Bergs Dikéos.
Phantastischer Rundumblick! 

Nach 4 Stunden war ich damit fertig. Und nu?

Bin dann noch die 9 Kilometer von Zia nach dem Asklipiadeion hin gehatscht. Kann man aber genau so gut bleiben lassen, ohne dass einem da was fehlt.
Eher kriegt man da zu viel.
Treibt sich da anzahlreich der Tourist herum.
Entgegen der im Singular angekündigten Erwartung taucht der Tourist immer nur im massenhaften Plural auf. Zerlatscht also durch pure Anwesenheit das, worauf es ihm eigentlich angekommen wäre.

Steht in deinem Reiseführer etwas von „touristisch unberührtes Bergdorf“, und der Führer ist nicht gerade die letzte, gründlich revidierte Ausgabe, stolpert der Reisende über massenhafte Mutationen seiner selbst.

Panta Rhei
Den Platz zu suchen, wo du den Rest deines Lebens verbringen möchtest, ist ein vergebliches Unterfangen.
Er verändert sich ja doch ständig.

Der Panther reihert, wie der Philosoph sagte, kurz bevor es ihn nicht mehr gab.

So keep moving.

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