Donnerstag, 27. Februar 2014

Mallorcaschnippsel

  1. Februar
    Es ist eigentlich unmöglich, einen sonnigen Frühlingsmorgen in Palma ohne Hochgefühle zu begehen.
    Nur diese prächtige Operninszenierung einer Kirche mit dem Namen des Armutspredigers Sant Francesc drängt einem Nachdenkliches auf:
    Solange die Materie zielbewußt verändert wird, von Leuten, die ja nicht in ihren Betten verrotten wollen, kommt dabei immer Reichtumsproduktion raus. Ganz gleich, welche gesellschaftliche Formbestimmtheit jeweils geschichtlich anzusetzen wäre.
    Da hat so ein Heiliger Franziskus also gut Armut predigen. Die Anlässe werden ihm ebenso wenig ausgehen, wie dem Beichtvater die Gelegenheit, der Natur mit dem sechsten Gebot ins Handwerk zu pfuschen.
    Das Problem ist doch nicht der Reichtum, der dieser Rasse nun mal lieb ist, sondern der hervorragend organisierte Ausschluss von ihm durch eine kleine, radikale Minderheit!
    Nachmittags erste Erkundung von Sóller und Umgebung. Das wird mein Hobby! Die abschliessende Gebirgskulisse der Tramuntana vom Puig Mayor über die Serras zum l'Ofre und den Cornadors hinter den golden leuchtenden Orangenkulturen hat einen unleugbaren wildromantischen Reiz.
    Damit die Bodenhaftung erhalten bleibt: einer der Gutsherren stellt eine ganze Kiste Zitrusfrüchte gratis zur Verfügung der Wanderer an sein Eingangsportal. Vermutlich sind das die ohnehin verlorenen Südfrüchte, die in Armeslänge des Zauns hiengen, und deswegen sowieso verloren gewesen wären.
    Auf diese honette Weise kann er wenigstens seinen Zaun vor dem Eingedelltwerden durch räuberische Wanderer schützen.
  2. Februar
    Nun sitze ich wieder mal in einer gut geheizten Stadtbibliothek und schreibe auf dem dortigen Computer kostenlos drauflos.
    Wanderer, kommst du in Städte, frage als erstes nach der public library, wenn du kommunizieren willst. Heute morgen hat mich der selbe Spass einen unverschämten Euro pro halbe Stunde gekostet.
    Habe eine schoene Wanderung hingekriegt, nämlich rauf zum Mirador ses Barques. Runter über die akustisch umweltverschmutzte Costa d'en Nicó nach Fornalutx. Durchaus zur Nachahmung empfohlen. Aber eben nicht an einem Wochenendtag, wo die giftig aufheulenden Motorräder über die M 10 nach Lluc jaulen.
    Und über Binibassi zurück.
    Alles, was hier mit „Bin“ beginnt, geht aufs Arabische zurück: Ben (Sohn des...) Auch Ortsnamen, die mit „Al“ anfangen, erinnern daran, dass es die Araber waren, die die Kunst der Bewässerung und die der Terrassierung zur Landgewinnung hier eingeführt haben.
    Den Römern waren die Berge egal. In den Ebenen der eroberten Inseln von den Balearen bis nach Zypern musste eilig und extensiv das Getreide angepflanzt werden, mit dem die Truppen des Imperiums gefüttert wurden. Weswegen auch keiner der gepflasterten Wege unter 600 Höhenmetern (obere Grenze der Olivenkulturen) auf die Römer zurückgeht.
  3. Februar
    Den GR 221 bis zur Refugi de Muleta am Cap Gros, und zurück über Port de Sóller gegangen.
    Sagt dem Leser nichts über die Schönheit dieser Wanderung, der ja nicht mit seinen Sinnen dabei ist. Und Ausmalen durch eine Schilderung ist vergebliche Mühe, wirkte sie doch wie ein Werbetext. Man wird ihn wohl oder übel selber einmal gehen müssen.
  4. Februar
    Nach Deia über den Gr 221.
    So wie die Pflanzen ihre Biotope brauchen, hangele ich mich hier entlang einer Kette von „Psychotopen“, wo das Atmen leicht geht. Herrlich!
    Mittags also in Deia.
    Unterhalb der Kirche im Oberdorf befindet sich ein kleines gemauertes Rund, das wohl als Buehne fuer die drei gemauerten Sitzreihen gedacht ist. Jenseits davon das Meer.
    Und zwei suesse braune Esel. Die neugierig ankommen, was ich da mache, und was da so anregend knistert.
    Will in aller Ruhe meine mitgebrachte Mittagsvesper vernaschen. Aber die Esel werden einfach zudringlich. Ob die an mein Brot wollen?
    Ich gehe ans Verteilen von Broeckchen, die auch brav verzehrt werden.
    Wenn aber der Nachschub ausbleibt, ruecken die mir wieder zuleibe.
    Ich also auf die andere Seite des Buehnenrunds.
    Da bleibe ich schon wieder nicht lange alleine, und Es guckt mich schon wieder so flehend an.
    Und hej, was macht der denn da drueben an meinem Rucksack?!
    Schnobert der doch da drin rum, was ich noch so an Feinem fuer ihn mir gebracht habe
    Eilends entreisse ich ihm seinen Forschungsgegenstand und klettere diesmal vorsichtshalber auf die Zuschauertribuene.
    Uppps! Da habe ich doch beim ruckartigen Rueck-Bemaechtigen meiner Habe uebersehen, dass der Kaese rausgefallen ist, mit dessen Plastiktuetenhuelle der jetzt zugange ist.
    Ich also wieder hin, um diese wichtigen Mahlbestandteile zu retten. Verliere dabei aber einen Teil des geschnittenen Kaeses. Aufgehoben, abgepustet, fuer verzehrbar befunden.
    Ich jetzt wieder auf hohem Sockel, mich sicher waehnend, denn der eine Esel steht da seitlich unten und schabt seinen Hals an einem brusthohen Stueck Mauerwerk. Dacht ich´s mir doch, das da die ueblichen Floehe gerne mit ihm auf ihm wohnen!
    Jetzt, wo er mit Schubbern fertig ist, umschreitet er gemaechlich das Mauerwerk und erklettert behende und geschickt, ohne ersichtliche Anstrengung die Zuschaerbaenke, kommt auf mich zu, stur in der alten Absicht zu...
    Flucht!!!
    Seit diesem Picknick mit Hindernissen glaube ich nicht mehr, dass die Esel bloed sind.
    Zu mehr als zum Brotessen langt es ja bei den meisten meiner Zeitgenossen auch nicht.
  5. Februar
    Habe mir in der spektakulaeren Schlucht von Biniaraix (Gr 221) angeschaut, wie das hier so gelaufen ist, nachdem der christliche Landadel im 13. Jahrhundert die Insel den Arabern weggenommen hatte.
    Er teilte sich natuerlich den eroberten Dreck zu seinen Fuessen zu seinen Gunsten auf.
    So gerieten etwa 80 Prozent des eigentlich nur aus Felsen bestehenden Gebirgszuges Tramuntana in Privatbesitz. Bis auf den heutigen Tag.
    Nun macht das natuerlich gar keinen Spass, wenn man Herr ueber nutzloses Gestein ist.
    Da trifft es sich gut, wenn man anderen als seinesgleichen die Bedingungen ihrer Existenzfristung diktieren kann: terrassiere mein Land, schaffe ackerbaeuerlichen Reichtum darauf, und ich lasse dich da an mein Eigentum ran, wenn du mir davon abgibst. Das Mass deiner Beitraege zu meinem Wohlergehen bestimme ich.
    Und so kann man heute noch besichtigen, wie die aermsten der Armen halbmeterstreifenweise Land fuer Oliven und Johannisbrotbaeume mit ihrem Schweiss geduengt und bewaessert haben, um den Adel durchfuettern zu duerfen, der ja mit seinen Klassenbruedern in der Ausbeutungsrate mithalten musste.
    Wegnehmen laesst dieser Landadel sich bis auf den heutigen Tag nichts. Gleiches Leid fuer alle!!!
    Das waere ja die fuerchterlichste Ungerechtigkeit gegenueber den Vorfahren, wenn das ploetzlich nicht mehr gelten sollte, dass es eine gott- und naturgewollte Rasse der rodenden Reichtumsschoepfer fuer die Rasse der Geniesser gibt.
    Trotzdem war die Wanderung durch den Barranco von Binaraix ein spektakulaeres Ereignis. An jeder zweiten der "tausend" Serpentinen musste ich stehen bleiben, um mich an der Erhabenheit dieser Schlucht zu erbauen.
    Es stimmt gar nicht, dass Gottlose fuer Wunder nichts uebrig haben. Die Natur schafft sie doch ueberall und taeglich. Nur die Unterwerfung unter einen allmaechtigen Wundertaeter, der sich von Opferfeuern in der Nase kitzeln laesst, faellt halt weg.
  6. Februar
    Letzte Wanderung von Fornalutx nach Port de Sóller zum Seeräuberturm und zurück über den Coll dén Borassar.
    Nur der Vollständigkeit halber sei das fuer Leute hier erwähnt, die sich gerne Anregung suchen für Anregendes.
  7. Februar

      Meine Ryanair-Billigflüge erledige ich mit dem bloßen Handgepäck von maximal 10 Kilo. Dadurch bin ich aber - wegen der Sicherheitsbestimmungen, die gegen das Mitführen von spitzen Gegenständen sind -, gezwungen, mir an den jeweils erflogenen Einsatzgebieten Messer anzuschaffen.
      Meistens hole ich mir die beim dortigen Billigwarenhändler, dem „Chinesen“.
      Am Ende hinterlege ich das Utensil in der letzten Unterkunft. Fürs nächste Jahr. Das halbe Kurzflug-Europa habe ich so mittlerweile mit Messern gespickt.

      Bis zum Abflug war in Palma noch Zeit. Mit dieser Restzeit habe ich das kostenlos zu betretende Museum der Modernen Kunst mit meiner Anwesenheit beehrt.
      Das Bankunternehmen eines gewissen Herrn March übt sich in Kultursponsoring. Kann das auch gut aus der Westentasche begleichen, denn der Gründungsvater dieses Untenehmens hat sich mit Schmuggel, Waffenbelieferung beider Kriegsparteien zweier Weltkriege und der finanziellen Unterstützung des nächsten Siegers als Arbeitgeber verdient gemacht.
      Das Vaterland ist ihm zu großem Dank verpflichtet: hat er doch für viele ratlose Menschen eine sinnvolle Beschäftigung gefunden. Die Carrabiners (Grenzpolizisten) hätten sich doch ohne sein Schmuggelunternehmen an den Küsten zu Tode gelangweilt!
      Joan March Ordinas schmuggelte zigtausende Tonnen Tabakwaren am Fiskus vorbei, auch Whiskey, Kaffee, Tee, Zucker, Mehl und Arzneimittel vertrieb er steuerfrei. Im Ersten Weltkrieg verkaufte er an die Kriegsgegner Deutschland einerseits und England andererseits Schiffsdiesel für U-Boote und andere Kriegsschiffe der Marine. Dieser Kriegsgewinnler wurde so reich, dass er sich 1919 allein an der Nordwestküste Mallorcas die Landgüter Albarca, Es Cosconar, Mossa und Ternelles kaufen konnte.
      Darüber darf so ein dahergelaufener Wanderer natürlich nicht einfach so latschen. Wenn man Pech hat, muss man den Auflagen der annähernd allmächtigen Familie March Genüge tun: sich im Rathaus kontingentiert anmelden, ein Formular ausfüllen, die Paßnummer angeben und warten, ob man eine offizielle Anmeldeschrift mit Stempel und Unterschrift bekommt.
       
      Pikanterweise wurde sogar eine heute noch zu besichtigende Kaserne der Küstenwächter nach dem ersten Weltkrieg mit Geldern dieses Bankiers erbaut. Jetzt war er ja Abgeordneter und hatte bereits das zweitgrößte Finanzvermögen eines einzelnen Menschen auf Mallorca angehäuft. 
      Man muß eben wissen, wann man auf welche Seite des Gesetzes zu treten hat.
       
      Eigentlich schade, dass die Leute zwischen Sinn und Zweck nicht unterscheiden können. Zwar hat diese Charaktermaske sehr sinnvolle Beschäftigungen für Schmuggler, Soldaten, Leichen, Priester, Politiker und anderes Personal gefunden.
      Sein Zweck war dabei aber die schlichte Mehrung eines Haufens Geld durch einen weiteren Haufen davon.

      Ich hab´ noch ´n Messer im Orange-county drin.
      Drum muß ich nächstens wieder hin.“



      Adéu!

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