Mittwoch, 26. März 2014

King Kong und die Dorfbewohner

 von Mechthild Seithe
Jeder kennt die Geschichte von dem großen Befreiungsschlag eines Dorfes in der Südsee, das sich eines Tages gegen den Riesengorilla King Kong zur Wehr setzte, der den größten Teil der Insel besetzt hielt und als Dank dafür, dass er das Dorf in Frieden leben ließ, alljährlich eine Jungfrau als Opfergabe für sich verlangt….
So war es Jahrzehnte, nein schon immer gegangen. Die Ältesten im Dorf erinnerten sich, dass es auch schon in ihrer Kindheit alljährlich das Opfer gab, mit dem sich die Dorfbewohner die Gnade von King Kong zu erkaufen versuchten…
Die Mädchen im Dorf wuchsen, sobald sie keine kleinen Kinder mehr waren und wussten, was um sie herum vor sich ging, in der Angst auf, es könne eines Tages sie treffen. An diese Möglichkeit dachte jede mit lähmender Angst aber gleichzeitig auch mit Ehrfurcht, denn es war ja eigentlich eine große Ehre, dazu auserwählt zu sein, sich für das ganze Dorf zu opfern. Wenn wie jedes Jahr der Tag herankam, an dem die Ältesten bekannt gaben, welches Mädchen sie dieses Mal ausgesucht hatten, lagen die Nerven aller jungen Frauen und älteren Mädchen blank und die ihrer Mütter dazu.
Wenn aber dann die Entscheidung gefallen war, blieb der betroffenen Mutter und ihrer Tochter nichts anderes mehr übrig, als sich geehrt zu fühlen und in aller Demut stolz zu sein auf diese Auszeichnung.
Alle Jahre wieder entstand aber auch Unruhe wegen dieser Opfersitte und es gab immer wieder Leute im Dorf, die diese Sitte verabscheuten und die versuchten, Auswege zu finden. Es war einmal so weit gekommen, dass das Dorf plante, einen Monat vor dem alljährlichen Termin in einer Nacht und Nebel Aktion mit Sack und Pack von der Insel zu fliehen und sich auf die Suche nach einer anderen Heimat zu machen. Dieser Plan aber wurde nicht in die Tat umgesetzt, weil einige Bewohner sich weigerten, ihre Hütten im Stich zu lassen. Das waren vor allem Familien, die nur männliche Kinder großzogen oder auch alte Dorfbewohner, die keine jungen Angehörigen mehr hatten.
In anderen Jahren wurde diskutiert, ob man nicht versuchen sollte, mit King Kong Verhandlungen auf zu nehmen. Eine Gruppe der stärksten Männer war schon dazu vorgesehen, das große Tor zu öffnen und mit King Kong hinter der Mauer Kontakt zu suchen. Vielleicht würde er ja bereit sein, statt einer Jungfrau z.B. vier fette Rinder als Opfergabe zu anzunehmen. Manche Dorfbewohner hielten diese Mission für zu gefährlich. Andere waren sich sicher, dass es King Kong aber genau darum ging, das Dorf mit diesem Menschenopfer besonders hart zu treffen. Woher sie das zu wissen meinten, blieb im Dunklen. Auf alle Fälle wurde auch aus diesen Überlegungen nichts.
In einem Jahr geschah es, dass von den vier Familien aus, deren Töchter mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr in die nähere Wahl kommen würden, eine ganz neue, nie dagewesene Diskussion angezettelt wurde, man müsse einfach endlich versuchen, King Kong von der Insel zu vertreiben.
Diese Absichten stießen aber bei der Mehrheit der Dorfbewohner auf blankes Unverständnis, wenn nicht sogar auf Entrüstung.
„Aber das war doch immer so bei uns! Wir können doch nichts gegen diese alte Geißel tun! Es war immer so und wir leben doch noch. Eine Jungfrau konnten wir immer verkraften, auch wenn es natürlich schwer ist und traurig für die Angehörigen“.
„Und wie sollte das gehen? King Kong ist viel, viel stärker. Wir haben keine Waffen, mit denen wir ihn wirklich treffen könnten! Es ist nun mal unser Fluch. Dem können wir nicht entrinnen!“
„Außerdem, wie könnten wir ihn vertreiben. Er lebt doch auch hier. Hat er kein Recht, auf dieser Insel zu wohnen? Gehört sie uns etwa? Und wo sollte er hin? Leben wir nicht letztlich doch in großem Einvernehmen mit ihm. Er könnte uns doch viel mehr schaden, wenn er wollte. Aber er lässt uns in Frieden. Wir sollten ihm dankbar sein!“
Aber die Gruppe der Kampfbereiten ließ nicht locker. Man müsste eben mit List arbeiten, dafür seien sie schließlich Menschen, keine Affen. Auf jeden Fall wäre es der größte Fehler, diesen unerträglichen Zustand für normal und unveränderbar zu halten. Damit nähme man sich schon die Chance, überhaupt noch darüber nachzudenken, was getan werden könnte.
Der eine oder andere junge Mann im Dorf fing an, von einem Leben auf dieser Insel ohne King Kong zu träumen. Andere überlegten, wie man es anstellen könne, den Riesenaffen zu vertreiben oder ihn zu töten. Aber die meisten Dorfbewohner blieben dabei: eine solche Sache sei überhaupt nicht möglich und außerdem stände sie ihnen auch gar nicht zu.
Es wurde heftig und lange diskutiert. Schließlich einigten sich die Dorfbewohner darauf, die Frage erst nach dem nächsten Opferritual zu entscheiden, es sich dieses Mal alles noch genau anzusehen und dann erneut zu überlegen, ob eine Kampfansage wirklich eine moralische Rechtfertigung hätte und ob sie überhaupt eine wirkliche Chance auf Erfolg habe.
Als in diesem Jahr die Ältesten feierlich verkündeten, welche Jungfrau King King geopfert werden sollte, stellte sich heraus, dass das Mädchen nicht aufzufinden war. Es war die Tochter desjenigen Mannes, der sich am heftigsten dafür eingesetzt hatte, die Opferzeremonie nicht länger zu dulden. Das Mädchen war fortgelaufen. Das Dorf legte den Bann über sie und ihre Eltern, wählte eine andere Jungfrau und ließ das entflohene Mädchen nicht mehr ins Dorf. Sie lebte alleine in den an das Dorf angrenzenden Wäldern. Nach drei Monaten sah man sie am Dorfrand, völlig abgemagert und entkräftet. Aber niemand gab ihr etwas zu essen. Auch die eigenen Eltern nicht, denn sie wurden von den Dorfbewohnern gewaltsam davon abgehalten. Nach weiteren vier Monaten fand ein Junge beim Holzsammeln ihre Leiche. Sie war verhungert. Und so hatte sich ihr Schicksal schließlich doch erfüllt. Die Dorfbewohner gingen jetzt zu den Eltern, brachten ihnen Trauergeschenke mit, trösteten sie über den Verlust ihrer Tochter und erzählten allen, wie schön und lieblich sie gewesen sei. Denn jetzt war die Familie wieder in den Verbund aufgenommen.
Der Plan, nach der Zeremonie die Überlegungen und Diskussionen um den Vorschlag, King Kong den Kampf anzusagen, wurde nicht wieder aufgegriffen. Alle sahen den Verlauf der Dinge und dass auf diese Weise gleich zwei ihrer jungen Mädchen hatten sterben müssen als Beleg, dass es ungut sei, sich zu weit vorzuwagen.
Bis dann der amerikanische Filmregisseur mit der kleinen weißen Frau daherkam und aus der Verfolgung von Kind Kong eine große Schau machte – und gar nicht danach fragte, ob die Dorfbewohner einverstanden waren.

(Mit Dank an die Quelle: opablog)

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