Dienstag, 22. April 2014

Griechische Inselschnippsel (Siphnos, Seriphos)

09. April 2014: 
Athen

Diesmal bin ich in einem sehr bunten Viertel südlich des Omoniaplatzes gelandet, mitten unter Indern, Pakistanis und chinesischem In- und Export. Man glaubt in Nordindien zu sein, so lange man nicht die Gruppen bärtiger Araber sieht.

Hoert sich aber gefährlicher an als es ist.

War heute toll was los am Syntagmaplatz, wegen einer Demo der Studenten der technischen Universitaet, die den Arbeitern der Ukraine riet, die rote Fahne des Proletariats hochzuhalten gegen die NeoNAZIs der Eurofaschisten. 
 
Die normalen Demonstranten hatten freilich die Schnauze voll von der Sparpolitik an denen, die nicht um das Zahlen von Steuern herumkommen.
Mehrere Hundertschaften von Schlaegertypen in nahkampftauglichem outfit (Polizei) waren unterwegs. Zum Fuerchten, wie hervorragend die fuer Schlaegereien ausgeruestet sind: Beinschienen bis über die Kniescheiben, mit dicken Gummischuppen wattierte Schulter- und Brustpartie, schwarzer Helm um den ganzen Kopf herum usw.

Ansonsten ein 8-stuendiger Orientierungsmarsch durchs Zentrum von Athen. Mit dem Lykabettos-Berg als Hoehepunkt. Eine kleine Wildnis mitten im Haeusermeer.

Im Exarchia-Viertel haben die Sprayer ganze Arbeit geleistet. Schade, dass ich das nicht alles übersetzen kann:
Tu cherches du boulot? Suce mon bite.“
Ich ziehe diesfalls eine lectio difficilior vor, die sich auf die soziokulturellen Gegebenheiten der besten Demokratie, die man fuer Geld kaufen kann, bezieht.


Dass ich vor Jahrzehnten schon mal im Archaeologischen MUSEUM war, merkte ich erst bei der Statue des kleinen „Jockeys“ auf seinem Bronzepferd.

 11. April:
Heute morgen ist ein Auto mit 75 Kilo Sprengstoff in die Luft gegangen. Vor einer BANK. Die Innenstadt weitraeumig abgeriegelt.
Morgen kommt die Merkel. Na da wird vielleicht was los sein!
Leider bin ich morgen schon auf dem Weg zur Kykladen-Insel Sifnos. Kann also den Terz mit der Merkel nicht miterleben. Sie lieben die Merkel uebrigens so sehr, dass sie alle Strassen, die zu ihr führen, abriegeln.

Die sind hier ganz schoen sauer auf ihre „fuck“- Politiker und den Gewaltapparat, der gegen den Unmut vorgeht. Eine Passantin hat mir da einiges an Einzelheiten erzaehlt ueber die Einschleusung von agent provocateurs, die aber leicht erkennbar seien an ihrer Verkabelung.

Das neue Akropolismuseum ist ein riesiger Bau, der den Burghuegel hervorragend in Szene setzt und erklaert. Erstmals wurde mir klar, was der in ihr Bild gewordene „Agon“ fuer eine ideologische Ramme ist:
Das Leben ist Kampf“
und zwar fuer die, welche sich gerne pruegeln um den ihnen zugestandenen Rest der Beute.
Die, fuer die das Leben ein gemachtes Bett ist, sind „too big to fail“, oder haben Experten der ganz legalen Steuertricks auf ihrer Lohnrolle.
Da komme man mir nicht mit der Menschennatur!
Das Problem dieser Menschennatur ist ihre Arglosigkeit, auf deren Verteidigung alle aus sind, die davon etwas haben.

Das Leben ein Kampf?
Und wenn der immerzu bereits entschieden ist?


Memorabile:
Sehr antiquiert: „Säe kein Gras, wenn du Korn ernten willst.“
Modern: „Du wirst doch nicht etwa säen, wo du auch so ernten kannst.“


Sonntag, 13. 04.
Welch ein Tag!
Im Morgenschatten der Kalkberge ein beschwerlicher Aufstieg von der Hafenstadt Kamares aus.
Alpiner Pfad, also schoen.
Am Stumpf eines ehemaligen Wachtturms vorbei. Es gab mal 55 davon auf der Insel. Gruende dafuer lieferten die Silber- und Goldminen.

Der Rest zweier Pylonen fuer die moderne Seilbahn der Mine.
Nach einer knappen Stunde ausflachend in Salbeistraeuchergesummse eifriger Insekten in ein wegloses Stueck durch Wacholdergebuesch.

Und jetzt nach Osten aufs Meer zu. Man ist umzingelt von Inseln.

Der „Heilige Elephtheros“ bietet neben seinem Kirchlein ein Gaestehaeuslein mit Wuerschtelkueche und Bett. Ach, da steht ja eine Flasche Ouzo Seit an Seit mit einer des lieblichen Kognaks.
Das nenne ich griechische Gastfreundschaft!

Auf der Stufe zum Keli hat ein Verkuendiger geschrieben, dass " Christos anesti".
Mich stoert diese Auferstehungsgeschichte nicht.
Das werden wir ja sehen, wenn es erst mal so weit ist.
Bis dahin verbitte ich mir aber alle weitergehenden Ansprueche, die damit verbunden zu sein pflegen; als da sind:
  • Tue nicht dir und den Frauen Gutes, es sei denn unter sehr genau umrissenen Zulassungsbedingungen.
  • Sei lieb zu Deinen Herren, insonderheit wenn sich eigentlich jedes Verstaendnis fuer ihre seltsame Auffuehrung verbieten wuerde.
  • Und glaube Du nur jeden Mist:
    g'schamster Diener, Jesu Christ!
Sonst sieht es mit Deiner Auferstehung boese aus.

Weiter unten das ehemalige Kloster Theologos tou Mongou, wohin man Damen der - von den anderen - gehobenen Klasse abschob, wenn sie nicht so ganz den Erwartungen der Verwandtschaft entsprachen.

Mittagessen in Appolonía. Man fragt sich, wo denn nun dieses Appollonía eigentlich beginnt, kurz bevor es auch schon wieder aufhört.
Aber es zieht sich die Oekumene dieses Namens hauptsaechlich - durch huebsche Treppenwege verbunden - links und rechts ueber den Inselrücken hin. Die Haeuser sind zum Auferstehungsfest alle mit einem neuen Anstrich weißer Oelfarbe aufgehuebscht, und die Kuppeln der zahlreichen Kirchen und Kapellen eingeblaeut.

Nachmittags runter nach Kastro auf einem Monipati, der allein schon sich so interessant ging, dass die Gegend selber nur noch angenehme Zutat war.
Dann auf halber Hoehe am Meer entlang zu einer „Panagia Poulati“.
Ihr merkt schon, an Heiligenhaeuslein mangelt es hier nicht.
Gottseidank sind nicht alle auf, oder offen, … halt zugaenglich.

Den Aufstieg zurueck nach Apollonia erleichtert ein Kalderimi (ausgebauter Treppenweg)
Und so waren schon mal 6 Stunden weg wie nix.

Blieb der Hatscher runter vom Inselruecken nach Kamares.
Aber mit einem durch Tsípouro (Traubenschnaps) verstaerkten Kafe elleniko faellt das gar nicht weiter auf. Man schmeisst einfach die Beine von sich weg und vor sich hin, den Rest erledigt die Schwerkraft ganz von alleine.
Man schreitet zu Tale, vielmehr MAN SCHRAITHET ZU THALE, LEUTHE!
MAN SCHRAITHET!

Von unten sehen diese Berge immer ganz schlimm aus, aber wenn man dran bleibt, hoert das irgendwann ganz von alleine auf.


Montag, 14.04.2004

Weil der zentrale Inselberg des „Heiligen Elias“ sich bedeckt haelt, sehe ich lieber von seiner Besteigung ab und mache mich auf zu Selbstgestricktem.
Diese Pfade und Pfaedchen durch die Fruehlingsbluetenteppiche entlangzustolpern macht einfach riesigen Spass. Gelbe bis rostbraune Wolfsmilchstraeucher neben Kamillenwiesen auf Oliventerrassn. Und in Pink praesentieren sich die Zistrosen, wilden Malven und praechtigen Winden. Daneben das zarte Blausa des Salbeis.
Das alles riecht auch noch gut, weil die Wuerzkraeuter auch noch mitmischen.

Kaum eine Stelle, von der aus man das Meer nicht sieht, auf dem die Westzykladen herumschwimmen: Paros, Naxos..halt die, zu denen ich naechstes Jahr hinmuss.
Es geht also durch terrassiertes Bauernland, das vernachlaessigt verwildert. Dann macht sich auch der Mohn breit.

Spaeter dann die Umrundung der Andreasakropolis
Unangenehme Ueberraschung auf der Rueckseite: da fuehrt ja eine auf der Karte gar nicht vorhandene, haessliche neue Strasse rauf! 
Den phantastischen Blick auf den Sueden der Insel kann man sich aber selber einrichten. Vor allem, weil heute geschlossen ist. Aber nicht fuer mich, der ich Hindernisse zu überklettern gewohnt bin.

Der letzte grosse Pfad fuehrt an der Kapelle der zwei Heiligen "Anargiri" vorbei.
Wie bitte?
Wie der Name schon sagt, haetten diese beiden Aerztebrueder (Kosmas und Damian) kein Siber genommen?
Im Laufe des Tages zaehle ich allein in dieser Gegend hier vier ihnen gewidmete Kapellchen.

Tja, so sind sie, die Christen. Ihr Ideal: alles umsonst.
Und wenn das eben fuer lau  nicht geht, nehmen sie es sich einfach, pflanzen ein Kreuz drauf und behaupten, das gehoere dem Koenig Sowieso. Zum Beweis halten sie den erstaunten, leseunkundigen Ureinwohnern ein Papier unter die Nase, wo das ganz genau drauf steht.

Da gefallen mir die Marienkirchlein schon besser, mit ihrer "Entschlafung Mariens" (Koimesis).
Also nix mit Himmelfahrtei, mit der die Katholiken so gerne im Grossen herumwirtschaften. Wenn schon der Elias seinerzeit so eine Fahrt angetreten ist, und von Jesus das selbe Kunststueck weltweit bekannt ist, dann ruhig grosszuegig damit umgehen und noch eine solche steile Fahrt fuer die Maria hinterherwerfen.
Grosszuegig wie sonst nur die Griechen mit ihrem Muell.

Wenn man sich auf diesen zahlreichen Pfaden nicht entscheiden kann, wo denn nun der richtige zurueck in die Oekumene ist, dann heisst es, den Kotspuren  hinterherzuspueren. Ziegenkoettel fuehren in die Irre der Wildnis, nur das Muli und der Esel kommen von Zuhause und wollen Nach Hause.

Und schon wieder ein „Kosmas und Damian“. Da  gehen wir jetzt aber mal rein. Fein riecht es hier von dem Raecherwerk.
Was sind denn das fuer Blechplaettchen am Rahmen der Ikone? Votivtaefelchen mit Armen, Fuessen und Augen...und.
Alles was Recht ist! Das nenne ich mir Aerzte! Ferndiagnose, Fernheilung und das ueber die Jahrhunderte hinweg.
Kein Wunder, dass die in Deutschland nicht so bekannt sind. Die versauen doch tatsaechlich mit ihrer Heilkunst der ganzen Zunft das Geschaeft.

Und so sitze ich hier und bloedele vor mich hin.
Und meine groesste Sorge ist , ob ich wohl auch morgen noch so dasitze und schnaufe, immer ein und aus, ein und aus.

Bin schliesslich alt genug, mit solche Sorgen leisten zu koennen.

    12.April

    Unnuetze Gedanken eines unnuetzen Menschen ueber unnuetzes Zeug

 

Ein Leben lang waren alle - und ich besonders - unzufrieden mit mir. 
Als ich verteilt wurde, war aber gerade kein anderer da , in dem ich haette Platz nehmen koennen.
Jetzt wohne ich beim Wandern in jedem meiner Schritte, und meine Kritiker sind entweder schon verstorben oder ganz weit weg.

Das Elend der von mir geuebten Moralkritik besteht darin, dass sie so gar keine attraktiven Reize aufzuweisen hat.
Nehmen wir bloss mal so eine allgemein gebilligte Maxime wie:
"Schuster, bleib bei deinem Leisten."
Da springt mir doch sofort ins Auge, dass die Befehlsform schon ausspricht, dass die einzige Wahrheit, die ihr zukommt, die eines Gewaltverhaeltnisses ist, und eben nicht eine in der Sache selbst auffindbare.
Das ist doch genau die Tour, wie die Schuster seit Menschengedenken das Schicksal geradezu dazu auffordern zuzuschlagen, will heissen, das Schicksal, das man fuer Schuster und ihresgleichen vorgesehen hat.

Kaum hat man aber so eine Nachdenklichkeit in die Welt gesetzt, schon hat man saemtliche Schuster und jene, ihnen solche Moral Predigenden, gegen sich. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass Schustertum keineswegs ein Konkretum ist, sondern ein gnadenloses Abstraktum, das so Einiges an Ausschluss impliziert. Ihrem Vermeinen nach ist jedoch eine allerallgemeinste Verbindlichkeit darin ausgesprochen.

"Siphnos war in der Antike eine reiche Insel.", weiss mein Fuehrer zu berichten, und wenn es gedruckt ist, wird es schon stimmen.
Fakt ist: die Sklaven trieben - in den Gold- und Silberminen der Stollen liegend! - die Tunnel taeglich um 30 cm voran.

Und da kommt nach Jahrtausenden noch der Pragmatismus der gebildeten Vernunft daher, und kann diesen Elendsgestalten der Sklavenhalterei  immer noch nicht verzeihen, dass sie ihre Ausbeuter gezwungen haben, reich zu werden.

Auch hier wieder das wenig Anziehende eines richtigen Gedankens.

Stelle ich mich also waehrend meines Rumstromerns lieber mitten auf eine bluehende Oliventerrasse und schnaufe als organischer Molekuelhaufen unter anderen Molekuelansammlungen das Wissen meiner Ewigkeit als Materie in die Gegend.
Hat was Beruhigendes. Erhaben ist das allerdings nicht.

Lieber Christian, Euer Merkwuerden, was war es noch gleich, was du uns sagen wolltest?

Weiss nicht, stehe hier so in meiner soundsovielten Auferstehung im gebluemelten Grasigen und schnaufe.

17. April
Sozusagen Gewitterregen seit heute Nacht um 4:00 Uhr. Die Makkaronischnuere aus Wasser fallen mit Gepladder jetzt schon seit 10 Stunden.
Fernsehen?
Gibt es nur auf Griechisch.
Vielleicht gibt es ja was mit Tieren, die über die Mattscheibe huschen?
Nur so Bärtige mit schwarzen Töpfen auf dem Kopf und Weihrauchschwenkern in den Händen. 
Auf mehreren Kanälen. 
Wird schnell langweilig.

Hab also Zeit, bissl was zu erzaehlen.
Gestern erregte eine Ameisenheerstrasse meine Aufmerksamkeit. 
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Ameisen zu zeigen, wie es die grossen Arschloecher, die einfach nicht alle werden wollen, so halten.
Streute ein paar gelbe Korbbluetenkoepfe auf ihren Transportweg.

Grosse Aufregung wegen des unvermutet auftretenden Staus.
Man schickte nach dem Oberpriester.
Der sprach salbunngsvoll von den Suenden des ungehorsamen Vokes, das jetzt die Strafe des Ameisengottes zu erleiden haette.

Waehrenddessen versuchte die Verkehrspolizei mit wildem Gestikulieren, den Stau umzuleiten.

Die herbeigeeilten Ingenieure besprachen die Lage. Das Zeug muss weg.
Fachmaennisch zerlegen und abtransportieren.

Der Nachschub an Saemereien und Baumaterialien war schon krisenhaft in Stockung geraten.
Das wuerde nicht mehr lange dauern und die Praesidentin wuerde
1. den nationalen Notstand ausrufen muessen und
2. mit betroffener Miene hier im Weg herumstehen.
Also angepackt.

Der salbungsvolle Redner war immer noch bei der Strafe.
Da kam eine heftige Boe des Schirokko und wischte die ganze Chose hangabwaerts.

"Liebe Gemeinde, dem Allmaechtigen in seiner unendlichen Guete hat es gefallen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen,...usw." 
machte da geistesgegenwaertig der Salbungsvolle einen Schwenk in der Programmatik. „Lob und Dank sei dem Herrn.“

Alle gläubigen Formicatholiken dankten jubelnd dem Herrn Christian mit seinen stinkenden Socken.

Die Ingeniere kicherten.
"Ich hab doch genau gesehen, dass das ein Windstoss war. Man sollte diesem Schwaetzer doch wirklich mal..."

"Vorsicht, dem sein Onkel sitzt im Gemeinderat, und sein Vater in der Regierung!"

...mal erklaeren, was ein Schirokko ist.“

18. April
Wieder in Athen.
War ganz schoen aufregend, ob das alles auch klappen wuerde mit der Faehre und so.
Da sagt man mir, und so dahin: „ Junge, ohne Vertrauen geht es nun mal nicht.“
Nichts da!
Vertrauen ist gut, gesetzlich vorgeschriebene Identitaet der gegensaetzlichen Interessen ist besser.

Kein Reeder kann es sich auf die Dauer leisten, den im Fahrplan sich konkretisierenden Kontrakt nicht einzuhalten.
Ganz schlecht fuers Geschaeft sowas.

Und hier
Ein Erzaehlsel, das fuer etwas steht, das es selbst gar nicht ist.

Der Müllmann schreit wuetend in der Seitengasse herum.
Man merkt, wie sehr er verletzt ist.
Soll heissen alles das, woran er glaubt.
Er wendet sich um bekräftigende Unterstützung seines Standpunkts an die uninteressierten Passanten.

Sein Gesprächskontrahent hingegen ist die inkarnierte Seelenruhe.
Gesittet und in Zimmerlautstaerke setzt er dem ungehobelten Proleten auseinander, warum er in seinem dicken Mercedes sitzend die Fussgaengerzone befahren darf.

Ich werde mich jetzt nicht aeussern zu der Frage, was es mit dem „Wer schreit, hat immer unrecht.“ auf sich hat.



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