Sonntag, 8. November 2015

Karpathos


Eine griechische Insel zwischen Kreta und Rhodos.
Breitengrad wie Nordtunesien.
Wenn man weiß wo, wachsen einem dort die Feigen in den Mund.

Pigadia
Mit ihren ehrwürdigen Altertümern machen die hier nicht viel her.
Diese ollen Klamotten werden praktischerweise in den täglichen Lebensvollzug einbezogen.
So steht ein riesiges Baptisterium der frühen Christen mit Treppenstufen zum gefahrlosen Eintauchen in die Ganzkörpertaufe mitten auf dem Spielplatz am Rathausplatz. Die großen und kleinen Kinder haben das Ding schon vor längerem als Müllbehälter durchschaut.

Ein kleiner Spaziergang zum Friedhof und auf den Akropolisfelsen.
Die Gräber sind hier alle aus weißem Marmor. Ausgerichtet zum Sonnenaufgang.
Die Verstorbenen bleiben da nicht lange drin. Schon nach ein paar Jahren werden die „Mieter“ wieder herausgenommen, ihre Knochen gewaschen und in kleinen Holz- oder Blechkisten im Beinhaus aufgestapelt. Mit Foto und beschriftet.
Eins der Gräber beherbergt einen Leslie Underwood. Hier im Januar verstorben. Ohne das sonst übliche Geburtsdatum. Nicht einmal wie alt er geworden war. Steht doch sonst überall auf den Grabplatten.
Sie nannten ihn den "Mechanikos" steht statt dessen auf der Platte. Nichts weiter. Nur R.I.P. Wusste eben keiner was von dem. Also auch nicht seine Mutter, die ihn vielleicht noch am Leben wähnt. Sein Foto zeigt einen traurigen Langhaarigen in mittleren Jahren.
Verdorben. Gestorben.
Ein anderes Grab, ohne jede Aufschrift, zeigt einen bärtigen Mann in den besten Jahren, mit einem erhobenen Glas Wein in der Hand. Der hielt wohl nichts von einer ausgeglichenen Diät, wozu nämlich ein Glas Wein in jeder Hand gehört hätte.
Der marmorne Grabstein ist - ohne das übliche Kreuz oben drauf - senkrecht eingeschlitzt. Durch diesen Schlitz ist eine dünnere Marmorplatte schräg durchgeschoben.
Vermutlich der ortsansässige gottlose Künstler.
Etwas außerhalb der Umfriedung mehrere Holländer, derer mit beschrifteten Kieseln liebevoll gedacht wird:
IK WIL DAT DIE BOUZOUKI HUILT
EN VAN MIJN VERDRIET VERTELT:
PETER, HET GA JE GOED.

Muss ich wohl nicht übersetzen.
Herbstgefühle, nicht unangenehm.
Die Feng-Shui-Chinesen haben wohl recht: zu den Bergen gehört das Wasser. Zum Ausgleich. Macht friedlich.

Orientierungsfahrt über die Insel.
Auf der östlichen Route um dieses Gebirge herum, das sich als Insel getarnt hat, nach Norden. Wilde, wüste Szenerien.
Beängstigend die Steinschlagreste auf den engen Straßen.
Mächtig viel Kurbelei am Lenkrad. Nervt.
Wäre lieber mein eigener Beifahrer.
Für meine Wandergelüste kommt mir heute das meiste zu anspruchsvoll vor. Zu zerklüftet.
Und schon wieder, und immer noch Kurven auf den nächsten 10 Kilometern.
Und dann plötzlich in einer Art Taleinschnitt eine Fata Morgana: Zwischen all dem Fels schwebt pastellfarben ein Dorf gen Himmel: Olymbos.

Nehme ein altes Mütterchen mit 20-Kilo-Sack auf dem gebeugten Rücken mit ins Dorf rauf.  Nach dem zu schließen, wie diese Insulanerin - nach längeren Gestikulationen meinerseits - mit dem endlich entdeckten Sicherheitsgurt um sich dran ran und drum herum wurschtelte, hat die noch nie ein zeitgenössisches Auto von innen gesehen.
(Diese Dorf spricht immer noch einen Dialekt, in dem die Linguisten 3000 Wörter des Dorischen ausmachten. Und die Verbindungsstraße zur Restwelt wurde erst neulich asphaltiert.)
Aus ihrem Sack - Perimenete!“ (Warten Sie.) - habe ich - „Perimenete!“ - drei Feigen – trotz abwehrenden Protests meinerseits – in die Hand gedrückt bekommen.
Irgendwie glaubt man ja wirklich zu träumen, wenn man da in der off - season durch dieses Dorf schlendert. „Das gibt es doch gar nicht!“ bin ich ewig am Murmeln an jeder Ecke. Ein architektonisches Freiluftmuseum.
Und doch, ja, da leben Menschen. Nicht viele, denn die meisten leben in Rhodos, Athen, oder Amerika. Kommen nur während der Saison ihre jetzt geschlossenen Restaurants und Touristenshops zu betreiben, wie mir der Wirt im Café neben der Kirche erklärt.
Das Laptop in Fensternähe und der Fernseher erklären mir, wie er den Winter übersteht.
Ist eine richtige Auswandererinsel, dieses Karpathos. Wenn man sich die aus Steinen bestehenden Äcker von Avlona (oberhalb von Olymbos) ansieht, versteht man das sofort.
Da wachsen - vor allem nach größeren Regenfällen - nur Steine aus den paar Krumen Erde.


Kali Limni (1225)
Heute habe ich mich ins Inselinnere aufgemacht, und das heißt: schon wieder immer rauf.
Dem KIA-Picanto fiel da erst mal gar nichts auf. Mir allerdings die engen und sehr gewöhnungsbedürftigen Ortsdurchfahrten. Man ist schon froh, wenn mal an scharfen Ecken ein Spiegel Einsicht in die gewünschte Fahrtrichtung gewährt. Mehr als ein kleines Auto passt nämlich nicht in die Straße rein und durch sie durch.
Oben auf der Hochebene wollte mich der Mut verlassen beim Anblick des Kali Limni (1215 m).
Da zog nämlich die Stau-Bewölkung demotivierend aus dem Westen über den Gipfel. Ich bin einfach zu alt für so ne Scheiße.
Bin dann aber doch rauf. Sind ja von Lastos aus nur knappe 500 Höhenmeter oder - ich zitiere die Markierung: 1h 31´.
Dass es mir großen Spaß gemacht hätte, kann ich wirklich nicht sagen, aber der Aufstieg über diese unbequemen Kalkgeröll-Pfade zwischen all dem Kameldorn und anderem verdorntem Gebüsch – bloß nicht stolpern und hinfallen! - hat sich gelohnt:
Panorama-Blick über die ganze Insel von Nord bis Süd.

Als neue Sensation an meinen heißen Füßen ist zu vermelden: irgend ein kleiner Teufel versucht, ein glühendes Hufeisen an meinen Fersen zu fixieren.
Bin etwas verstochen an den Füßen. Ist gutes Flugwetter für die Blutsauger, und durch die Cordurastiefel kommen die lässig durch.

Dörferrundfahrt im Süden der Insel.
Wer auch immer die Arbeit erfunden hat - es sollen ihm sämtliche Zähne ausfallen! - ein Grieche war das sicherlich nicht.
Falls du deine Dose Eiskaffee nicht bezahlen kannst, weil der Geschäftsinhaber im Kafenion nebenan Wichtigeres zu tun hat (Tawli spielen!), lege einfach den ausgepreisten Betrag neben die Kasse, und gutt is.

Eine der Dorfdurchfahrten war meiner Ansicht nach nicht passierbar. Der Chauffeur mit seiner Mistkarre von Lastwagen, der sich da unangenehme Dichte verbreitend bemerkbar machte, bewies mir das Gegenteil: enterte mein Gefährt und lotste es millimeterdicht daran vorbei.

Ansonsten eben Herbst: alle Hotels und Restaurants dicht, aber Mandeln, Nüsse, Orangen und Feigen schwer am Fruchten in den Gärten von Pilés, die Frangipani duften überall betörend, und der Hibiskus und die Bougainvillas halten sich sowieso an keine Vorschriften. Okay, ist kein Frühling, aber die Granatäpfel mit ihrem prächtigen Dunkelrot haben es mir schwer angetan.
Zur Erfrischung knülle ich mir ab und zu ein Salbeiblatt und lasse es sich in einem meiner Nasenlöcher spreizen. Ahhh..!
Dann gibt es diese zahllosen Kirchlein mit den zahllosen Heiligen, Schutzpatrone für und gegen alles Mögliche.
Ein „Agios Mammas“ (für die Anliegen der Hirten zuständig) hält seine Audienzen für die Klientel in einer Art Trullo aus dem 9. Jahrhundert gleich hinter Menetés. Den sollen syrische Seeräuber gebaut haben.
Dabei fällt mir ein, die Christen haben bei ihren Raubzügen tatsächlich nie unnötig gemordet. Nur immer dann, wenn all diese anderen partout sich nicht der selben, nämlich richtigen, weil christlichen, Auffassung anschließen wollten. Es hätte denen ja durchaus freigestanden, die richtige Auffassung zu wählen.

Also heute morgen habe ich den hiesigen Metropoliten (eine Art orthodoxer Bischof) gesehen.
Der fährt ein Auto mit Chauffeur … ähmmm, es ist natürlich der Chauffeur, der usw.... und ohne Nummer. Aber mit Wimpel am Stander und dickem MKK hinten drauf.
Wenn der ein bissl was von seinem stolzen Einkommen abgäbe, dann könnte man einen Arbeitslosen in das einzige (und noch dazu inaktive) Kloster der Insel setzen. Und wir Kinder Gottes könnten des Vaters Haus besuchen. So aber gibt es dort nur eine aufdringlich bettelnde schwarze Katze. Meine Pilgerschaft zum "Hl. Georg in den Wäldern" (Agios Georgios Vassón) war also buchstäblich für die Katz´.

Dieser Heilige Georg hat übrigens (auf der Ikone des Kapellchens daneben) hinter sich auf dem Pferd einen kleinen Boy sitzen, mit Turban und großer Kaffeekanne. So ein adliger Killer des Bösen muss natürlich nach getaner Heldentat eine standesgemäße Erfrischung serviert bekommen.
Die Elite ist so. Der Metropolit hat ja auch seinen Chauffeur unfreundlich angeraunzt, als er die kleine Schramme an der rechten Hintertür seines Gefährts entdeckte. Er war sich nämlich ganz sicher, dass er nicht daran schuld war. Wer nix tut, kann nämlich auch nix falsch machen. Da hat er ganz recht.
Übrigens ist meine giftige Erklärung des kleinen Männchens hinter dem Heiligen Schorsch, den es sowieso nie als historisch greifbare Person gegeben hat, von geradezu epiphanischer Klarheit gegenüber den lachhaften Erklärungen der hier zuständigen Ikonographie.

Themenwechsel: Müllproblem.
Den Müll von der Insel wegzuschaffen, würde viel Geld kosten, eine Verbrennungsanlage noch mehr davon. Also landet gar Manches dort, wo es nicht hingehört. Auf den Parkplätzen vor den Dörfern stehen Autos ohne Nummern und rosten was das Zeug hält, seit Jahren vor sich hin. Dito Bagger und anderes Baustellengerät irgendwo am Straßenrand. In den Vorgärten der neuen Häuser rosten gleich mehrere - von der Natur bereits gnädig überwucherte - Fahrzeuge usw.
Aber sonst ist es gleich nebenan in der Wildnis schaurig schön.
Wenn ich einen finde, der mit mir auf halbem Weg der Streckenwanderungen die Autoschlüssel tauscht, komme ich wieder her.

Noch mal volle Kanne schaurig Schönes.
Morgens in eine phantastische Schlucht von Adia rauf nach Lastos hoch, weil der menschenfreundliche Hund, der sich da auskannte, darauf bestand, den Guide bergauf zu machen. Vermute, er will da oben eine Freundin von ihm besuchen.
Er immer vorne weg mit seinem fröhlich klingelnden Halsglöckchen.
Der wusste zum Glück genau, wo es in diesem Verhau aus Oleandern und Felsen lang ging. Konnte allerdings nicht ahnen, dass ich unterwegs schlapp machen würde und auf halbem Wege lieber umkehrte.
Später große Wiedersehensfreude am Eingang der Schlucht. Saust ganz begeistert auf mich zu, als er mich sieht :" Hej, da bist du ja. Hab dich schon die ganze Zeit gesucht."
Wegen treuer Dienste hat er von mir ein Leckerli in Form eines Würstchens gekriegt.

Dann ein weiterer wildromantischer Höhepunkt : vom Feuerwachtturm nach Mesochori und zurück.
Wenn ich mir diesen kargen Fels und den Baumfriedhof vom letzten Waldbrand anschaue und dann über das wieder strotzende Grün nachsinne, wächst bei mir die Gewissheit, dass auch aus mir noch mal was Ordentliches werden kann.
Was lehrt so eine karge Insel?
Öl gibt der Olivenbaum.
Die Traube gibt den Wein.
Gräser und Frauen geben Mehl und Brot.
Ziegen geben Milch und Käse und sich.

Dabei bleibt es seit Tausenden von Jahren hier.
Geschichte kann ruhig wo anders stattfinden.

Bordfunkdurchsage auf dem Rückflug zum Festland:
The German hikers are kindly requested to put their boots on again.“
 Natürlich Quatsch!

Aber den nepalesischen Gastarbeitern auf ihrem Heimflug von der arabischen Halbinsel passiert so was ständig.



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