Montag, 16. Februar 2015

Tunesien


Ein Körper ist etwas, das unter die unauffälligen Begleiterscheinungen des Lebens fallen sollte. Trotz seiner fast nicht spürbaren Anwesenheit folgt er jedem unserer Winke zuverlässig und unverzüglich.
Und was ist?
Lässt sich der Kerl doch in letzter Zeit von mir herumschleppen und hat ständig was zu Maulen und zu Meckern. Von seiner zuverlässigen Unzuverlässigkeit ganz zu schweigen.
Und mit so was ist man nun unterwegs!

Gleich den ersten Tag führte sich dieser deroutierte Domestik unanständig auf. Mit der Metro du Sahel war ich von Monastir nach Sousse gefahren, um u. a. den dortigen Ribat (Wehrkloster) zu erlaufen. Schon beim Abstieg vom Wachtturm wurde mir ganz anders.
Nun lasse ich mir grundsätzlich von Leuten, die ich füttere, nichts sagen. Aber diese Plebejer haben anscheinend ihre Mittel, sich nachdrücklich Beachtung zu verschaffen. Das bissl Aufstieg zur Kasbah hab ich mir von denen zwar nicht ausreden lassen, aber ich war doch froh, als wir schließlich gemeinsam die wunderschönen Mosaiken im dortigen archeologischen Museum auf ebener Strecke abschreiten durften.
Diese Besichtigung der tunesischen Mosaikenmuseen, von denen es auch in Tunis (Bardo - Museum) und in El Djem Mustergültiges für den Kulturgeschichtsbeflissenen zu genießen gibt, waren immer die Versöhnungsphasen zwischen mir und meinem Beinwerk.

Man muss sich klar machen, dass es ja über den Alltag und das Brauchtum der Römer und ihre Kolonisierten keine Photos oder gemalte Bilder gibt. Was wir darüber wissen, steht auch nicht in den überlieferten Schriftrollen. Und so kommt es, dass man anhand der Mosaiken gut überprüfen kann, ob ein Historienschinken aus Hollywood z. B. über die Gladiatorenkämpfe Ähnlichkeit mit der damaligen Wirklichkeit hat.
Und die Realitätstreue der Mosaiken gibt auch Auskunft darüber, dass es in Nordafrika damals noch Berberlöwen, Panther und Berberaffen gegeben hat. Erst die Französischen Kolonialherren haben es im 19. Jahrhundert geschafft, den Imperialismus der Römer in diesem Punkte an sein logisches Ende zu führen: Ausrottung.

Die Medina und die Souks dieser Stadt haben noch exotische Ecken, die einem ein punktuelles 1001-Nacht-Erlebnis vermitteln. Ansonsten dringt die Bewirtschaftung der Armut in die ehemaligen Handwerkergassen vor und zersetzt sie mit Tonnen von Jeans für die Besserverdienenden und Trainingsanzügen für die, die auch was anziehen müssen. Fürs Obenherum und Untendran gibt es ebenfalls - vom westlichen Trödel bis zum Distinkten aus Paris - was für die zu erlegenden Dinare (von römisch Denarius), die dann endgültig weg sind.


Bahnfahrt nach Mahdia
Mit der Metro nach dem Süden. Mein Gott, ich verlange ja nicht mehr viel, aber ein bissl mehr als der unendliche Plastiktüten-Müll in einer reizlosen Kulturlandschaft hätte es schon sein dürfen.
Dass die Tunesier nicht in ihrem eigenen Müll ersticken, liegt ausschließlich daran, dass der Wind alle blauen und weißen und schwarzen Plastiktüten an das nächstgelegene prominente Hindernis fegt: Olivenbäume und Opuntienhecken.
Man kann auf der Fahrt auch besichtigen, was es heißt, ein „Schwellenland „ zu sein. Ganze Städte aus unfertigen Häusern erzählen kilometerlang vom gewaltigen Hupf zur Schwelle und dem auf halbem Wege anschließenden Plumps zurück. Im Aufbau erstarrte Geisterstädte, durch deren leere Fensterhöhen der Wind fegt: Totenköpfe diesseits der „Schwelle“.
Vergeblichkeit heißt das Gesetz, das von der Krise des Kapitals über die lebendige Arbeit verhängt wird.

Das Entern eines tunesischen Massenbeförderungsmittels ist ein gesundheitsgefährdendes Unternehmen. Das Gedrängel entsteht nicht bloß aus dem verständlichen Wunsch der abgearbeiteten Bevölkerung, durch den Einsatz von Ellbogen und Körperarbeit einen Sitzplatz zu kapern, die Aussteigenden sind absolut zeitgleich der Auffassung, sie müssten ausgerechnet jetzt und hier aussteigen. Mit meiner auf dem Kasernenhof gestählten Stimme habe ich mir mehrmals eine Gasse für den Ausstieg freibrüllen müssen.

Tunis
Auf der Hinfahrt kommt die Bahn durch Hergla, einen berühmten Wallfahrtsort.
Der Marabut Sidi Bou Mendil hatte dort schon im 10. Jahrhundert herausgefunden, wie man auf seinem Taschentuch nach Mekka fliegt. Leider ist er nicht alt genug geworden, um diese ökonomisch und ökologisch reizvolle Variante zum Flugzeug an seine Schüler weiterzugeben.
Das erste, was in Tunis auffällt, sind die Stacheldrahtverhaue vor strategisch wichtigen oder symbolträchtigen Gebäuden. Panzerfahrzeug und mit Schießzeug ausgestattetes Militär gleich daneben.
Die herbeirevolutionierte und dann auch schon mal demokratisch gewählte politische Führung hegt mit Recht die Befürchtung, dass der Zusammenhang von verheerender Wirtschaftssituation und dem Auf-der-Stelle-Treten derer, die das auch nach vier Jahren „arabischen Frühlings“ nicht ändern wollen, der Bevölkerung auf die Dauer nicht verborgen bleiben wird.

Das Wichtigste für mich: das Bardo-Museum in einem alten Palast mit der Spezialausstellung zur Tunisreise von Macke, Klee und Moilliet. Letzteren kennt der Leser aus Hermann Hesses Erzählung „Klingsors letzter Sommer“.


Kairouan
Die „Heilige Stadt“. Mehrere Wallfahrten dorthin gelten einem Hadsch nach Mekka gleich.

Irgendwie der Höhepunkt meiner tunesischen Spaziergänge. Die Schönheit einer untergehenden Kultur neben dem Müll. Die sterbende Hälfte einer sterbenden Welt gefällt.
Wenn die neue Weltreligion wenigstens etwas zu bieten hätte...

Weltherrschaft war schon immer ein Gedanke von exquisiter Blödheit gewesen. Jede letzte Grenzverziehung verweist ungerührt auf die ganz neu auftauchenden Feinde dahinter.
Heute, wo die Grenzen für ein free-for-all des verallgemeinerten Lebensstils der Bereicherung keine Rolle mehr spielen, ist umgekehrt der Nationalismus bestenfalls eine Untersparte der abendlichen Fernseh-Erbauung.


El Djem
Man fährt da wegen des gut erhaltenen, kolossalen Amphitheaters inmitten des größten zusammenhängenden Ölbaumgebiets der Welt hin. Erbaut wurde das von den reichen Großgrundbesitzern, die mit ihrem Öl die ganze antike Welt versorgten.

Das stach den immer gierigen römischen Senatoren in die Augen, und sie schickten einen neuen Procurator hin, der die Ölsteuerschraube anziehen sollte.
Aufstand der dortigen „landed gentry“, die den Gesandten des Kaisers Maximinus im Jahre 238 unserer Zeitrechnung lynchten. Der Kaiser ließ zur Strafe den Ort niederbrennen und plündern. Und zwar so gründlich, dass die noch vor kurzem als Einnahmequelle geplante Reichtumsschöpferin verarmt dahinsiechte.

Es bereitet mir ein großes moralisches Vergnügen, von der dergestalt ergebnislos gescheiterten Gier der römischen Senatoren zu lesen.
 Es mögen sich das die heutigen europäischen Gierschlünde hinter die Ohren schreiben: man kann die Quelle seiner Bereicherung auch durch eigene Blödheit verstopfen.


Auf der Busfahrt nach Hammamet/Nabeul
werde ich dessen inne, dass ich seit 6 Tagen keine einzige Verkehrsampel gesehen habe. Meine Zunge möge mir aus dem Munde faulen, wenn ich nicht die Wahrheit spreche: keine einzige Ampel!

Hundert Mal möge Allah meinen Computer abstürzen machen, wenn ich lüge: ich habe auch keinen einzigen Hund gesehen. Die zahllosen Katzen führen hier ein strenges Regiment über die Müllhaufen.
Na ja, einmal habe ich doch am fernen Horizont etwas wie einen klapprigen Hund vorüberschleichen gesehen. Aber ich hätte ja auch einfach in die andere Richtung schauen können.

Sämtliche Verwünschungen meiner Feinde mögen mich gleichzeitig treffen, wenn der feinsandige Sand der tunesischen Strände, d.h. der feinste Sand an den Küsten aller sieben Meere, mir nicht die Augen wundgerieben hat.

Dennoch konnte ich sehr gut die zwei unterschiedlichen Ausführungen der tunesischen Frau von einander trennen. Die eine nenne ich mal „die Gazelle“. Und jeder weiß genau, was ich damit meine: ihr Gang, ihre Mimik, ihre Gestik...es gibt nichts an ihr, was dich nicht fasziniert.
Und dann ist da der sich einem Haushaltsgerät (Kühlschrank, Waschmaschine, Elektroherd) annähernde Typus, der ohne diese weit fallenden Umhänge eine darunter befindliche Kugel offenbaren würde.
Allahs Blitz möge mich beim Scheißen treffen, wenn ich euch falsch unterrichte: aber letzterer Typus geht aus ersterem hervor, und zwar aus und unter der Hand von Olivenölhändlern und Zuckerbäckern.
Und seufzend sieht man die Gazellen mit flachen, aber großen Kartons die Lasterhöhlen besagter Zuckerbäcker kichernd verlassen.

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